2023 Dezember

 

Patrice freut sich an den vielen BesucherInnen, die zu seiner Collagenausstellung «Holy cow» während drei Tagen (7.-9.12.) in St. Gallen eintreffen. Überraschend vielfältig mit eigenen Charakterzügen und je eigenem Outfit präsentieren sich seine Kühe, die er an seinem Wohnort in Berlin mit KI und viel Handarbeit geschaffen hat. Sein Freund Michi managet ihm diese Exposition.

 

Der grosse Chor Audite Nova Zug bietet die «A ceremony of Carols» von Bejamin Britten und «Three carols» von Carl Rütti unter der Leitung des neuen Dirigenten Philipp Schmidlin in hoher Qualität an (10.12.). Die Werke sind aufwändig komponiert und einstudiert. Ohne emotionale Beheimatung bleiben mir die Gesänge fremd, fast anstrengend. Ebenso das ständige Harfenspiel als einziges Begleitinstrument und mit Solovorträgen. Am besten wird dieses Konzert den achtzig Sängerinnen und Sängern gefallen, weil sie in den vielen Proben diese Art Musik haben verinnerlichen können.

 

Unterwegs von Rotkreuz nach Vilters (11.12.) entdecke ich wieder einmal Wasser auf dem Boden. Das Wasser kommt aber von ganz oben, ganz aussen. Das Panzerband zur Abdeckung eines Kamins ist ausgetrocknet und lässt beim Fahrtwind viel Regenwasser einfliessen. Erst in Vilters kann ich den Schaden provisorisch beheben. Marco und Paul erteilen mir wertvolle Tipps. Die ganze Prozedur wird nur bei einer Schönwetterperiode durchführbar sein. Was habe ich kürzlich gelesen: «Je mehr Dachschaden, umso mehr Sterne sind sichtbar.» 

 

Dario nimmt mit seiner Tochter Alegra (12) und seinem Sohn Vital (6) am 17. Skitourenwettlauf «NightAttack» in den Flumserbergen teil (16.12.23). Start mit obligatorischer Stirnlampe im Dunkel um 18 Uhr. Was für eine Leistung und die Kinder warten nach 21 Uhr noch vergnügt auf die Rangverkündigung. Ein Tshirt und einen Rodellauf-Gutschein präsentieren sie als Trophäen. 

   

NightAttack-Strecke Tannenheim - Prodkamm: Länge: 4350m; Höhendifferenz: 719m; Streckenrekord 2023: Herren 00:33:06; Damen 00:39:31.

 

Die Musikgesellschaft Vilters präsentiert vor Weihnachten ihr traditionelles Weihnachtskonzert (17.12.23). Hübsche, beschwingte Melodien füllen den Kirchenraum. Viele junge Leute, darunter viele Frauen, finden Zugang zu diesem Dorfverein. Entsprechend gut sind die Klarinettensätze, Saxophone und Klanginstrumente besetzt.

 

Hans «fällt ein Stein vom Herzen» und ein Stein von der Niere. Noch vor Weihnachten (18.12.) lösen die Chirurgen dieses zeitweise schmerzende, jederzeit verunsichernde Problem.

 

Wieder ist es für mich sehr stimmig in meiner Heimatgemeinde Vilters die Mitternachtsmesse mit dem Volk zu zelebrieren. Gegen alle Kriege und Grausamkeiten gibt uns der Glaube die Antwort: «Gott ist nur Liebe. (er, sie) wagt für die Liebe alles zu geben. Gott ist nur Liebe. Gebt euch ohne Furcht». Wie heilsam, wenn auch die Regierungen dieser Botschaft vertrauen und so «ihre Feinde» behandeln würden. Andere Wege zum Frieden gelingen der Menschheit nicht.  

 

Mit vier Familien, davon zehn Kindern, in Bad Ragaz friedlich fröhliche Weihnachten feiern ist ein grosses Geschenk. Solche Feste stärken unser Urvertrauen auf Frieden und Liebe: «Gott ist nur Liebe. Gebt euch ohne Furcht».

 

Mir geht es am Jahresende 2023 gesundheitlich physisch und mental immer noch sehr gut. Ich bin mir dieses Privilegs mit grosser Dankbarkeit sehr bewusst.

Die roten Flecken in meinem Gesicht und auf dem Haarboden, provoziert durch Tolac/Edufix als präventive Crème gegen «weissen Hautkrebs», werden anfangs 2024 wieder verschwinden. Dank der Medizin und der Erkenntnis vieler Fachleute kann oft Schlimmeres verhindert werden.

 

Patricia setzt mir nach der Vorbereitung der Trauerfeier für ihren Vater in Vilters die Ibandronatspritze (29.12.23). Die Osteoporose wird dadurch merklich gestoppt und ich fühle mich täglich schmerzfrei. So sehe ich vertrauensvoll dem neuen Jahr 2024 entgegen.

 

 

2023 Oktober November

 

Nein, nein, ich bin Gott sei Dank kerngesund. Ich habe lediglich im Oktober eine Schreibpause begonnen, die wahrscheinlich noch bis zum Frühling dauern wird. Ich werde mich meist bei Marco in Vilters/SG aufhalten und meinem Womo recht einheizen, so dass ich behaglich wie bisher werde wohnen können.

 

Kleiner Service (5.10.23). Alle drei Monate lasse ich mir eine Ibandronatspritze zum Stabilisieren der Osteoporose setzen. Da sie intravenös gesetzt wird und ich keine einschlägige Erfahrung mit Drogen habe, verabreicht mir meine Nachbarin Betti dieses hilfreiche Mittel. Ich lebe schon über ein Jahr schmerzfrei.

 

Sabatin überrascht mich mit einem Besuch in Vilters (6.10.23). Wir wandern den Heidiweg am Pizol Bad Ragaz und die Verbindung Bad Ragaz – Wangs auf 2200m ab. Zwei aussichtsreiche, leichte Wanderungen, geeignet fürs Staunen über die Natur und gute Gespräche.

 

Mitte Oktober stehe ich auf dem San Bernardino auf meinem wilden Plätzchen, weit über der Waldgrenze. Theres und Hans kommen zu einer Wanderung und bringen mir Holz fürs Lagerfeuer mit und helfen mir eine Feuerstelle bauen (9.10.23).

 

Abends überraschen mich Katja und Adrian auf ihrem Heimweg von Locarno am Lagerfeuer. Rösti mit Spiegelei kann ich anbieten.

 

Tage danach disloziere ich zum Lido Mappo und treffe einen Teil von Adrians Familie. Franziska und Kornel halten auf ihrer Heimreise von Sardinien mit ihrer Tochter Yara auf diesem Camping und wissen, dass ich da bin. Statt heim nach Eggersriet zu stressen, fahren sie mir anderntags mit dem Velo von Tenero bis Maggia voraus. Beim Picknick an der Maggia und dem Spielen mit Steinen und Eicheln finde ich Familienanschluss. (Tage später fragt Adrian seine Schwester Yara am Telefon – er ist zum Biken mit seiner Freundin nach Marocco geflogen – «weisst du, wer dein Götti ist?». Yara antwortet: «Ja, Lorenz». Was in Yaras Herzen geschrieben steht, steht bisher auf keinem Blatt Papier. Ihr Götti möge mir diesen guten Draht zu Yara verzeihen).

 

Vom 12.-19. Oktober 23 verweile ich mit dem Womo auf dem Lido Mappo. Eine herrliche Faulenzerei, obwohl bei schönem Wetter die Temperatur kaum auf sechzehn Grad aufsteigt.

 

Enttäuschend im Kastanienland Ticino! Es gibt keine Marronistände mit «heisse Marroni!». Nur am 14. Oktober findet in Ascona das Marronifest mit Musik statt. Da fahre ich hin und verspeise zwei Tüten Marroni mit Bier. Fein, aber eben einmalig.

 

Während ich mich im Tessin aufhalte, stirbt in Steinach Wendelin Ellenrieder. Der Mann, der mich eines Abends mit seinem Wohnmobilangebot zum Kauf in Arbon erwischt hat. Ich fahre am 23. Oktober zu seiner Schwester nach Flawil/Bubental, um eine Verabschiedung vorzubereiten.

 

Am 27. Oktober setzen wir auf dem Friedhof in Vilters unseren Primarschul-Klassenkameraden Reto Schwörer bei. Ich darf diesen Abschied mitgestalten und leiten. Luana spielt die Geige. Die achtzehnjährige Salina – Tochter von Sabine und Dario, die ich in Lyngseidet, Norwegen 2022 besucht habe – trägt persönliche Gedanken über ihren Neni vor. Zwei Kinder singen ein herziges Kinderlied und Dario bewegt unsre Herzen, indem er zum Schluss sehr kräftig und innig zu Ehren seines Vaters den Alpsegen singt/ruft.

 

Klassenkameradinnen und Kameraden treffen sich spontan zum Mittagessen in der Ilge Vilters. Es kommt mit neun Personen zu einem kleinen Klassentreffen und Reto ist in unseren Erinnerungen dabei. Reto war Architekt, konnte aber in den letzten Jahren nicht mehr gut sehen. Darum hat er sich meine Reiseberichte jeweils vom Computer vorlesen lassen. (Wie geht denn sowas? Überprüfen—A Laut vorlesen Sprache)

 

Telse und Claus melden sich auf der Rückfahrt von Südfrankreich nach Norddeutschland zu einem Besuch bei mir in Vilters an. Willkommen! Zu ihrer Überraschung rufe ich Meia und Peter aus Flond/GR und Theres und Hans aus Rotkreuz/ZG herbei. Wohnmobilisten gemäss stellen wir zwei Fahrzeuge in der Rheinau auf, um uns in unseren Stühlen und an unseren Tischen bei Kaffee und Kuchen wohl zu fühlen und fremde Ausflügler spontan willkommen zu heissen. Beim Spaziergang auf dem Rheindamm wütet ein heftiger Föhnsturm. Auch mal schön, sowas mit Gästen zu erleben. Den Wildpfeffer lassen wir uns am Abend in der Ilge Vilters schmecken!

 

2023 November

 

Am 1. November gestalte ich eine Abdankungsfeier für Wendelin Ellenrieder im Rössli in Tufertschwil. Wendi war früher der Chef von CCC Arbon, bei dem ich mein Womo im 2011 gekauft habe. Ich mochte seine ruhige, klare Art im Umgang und sein grosses, ungebrochenes Interesse an meinen Reisen.

 

Die Reiseleiterin Janette Emrich treffe ich bei einem Vortrag am Samstag, 4. November in Kleinandelfingen und danach einige ReisefreundeInnen von der Seidenstrasse (2017) und der Panamericana (2019/20) im Restaurant "Frohsinn" in Fluringen.

Am Montag, 6. November 23 statte ich freiwillig meinem Chirurgen der Knie-Totalprothese Dr. Oetiker in Cham einen Besuch ab. Ich habe ihm mit einem Brief für den chirurgischen Eingriff vor zehn Jahren gedankt, worauf er sich gewünscht hat, mein Knie und mich als Ganzes wieder einmal zu sehen. Das finde ich nach zehn Jahren in Ordnung, denn an meinem Womo waren in dieser Zeit weit mehr Schrauben locker.

 

Ich bin in einem Alter, wo die Beine immer kürzer werden. Theres, die beobachtet, wie ich auf den Hosenumschlägen herumtrampe, rät mir die Hosenbeine gleich an mehreren Paar Hosen kürzen zu lassen. Das gelingt uns in Steinhausen (8.11.23).

 

Von Rotkreuz aus fahre ich nach Tenero zum Camping Miralago, dem einzigen von fünf Campingplätzen, der im Winter geöffnet ist. Da verweile ich für elf Tage (9.-20. 11.23).

Das Wetter hält sich an die Tessiner Gewohnheiten. Sonnenschein. Wohl etwas kühl bei ca zwölf Grad. Ich setze mir den warmen, ohrengeschützten Skihelm auf und bike bis Maggia (10.11.23). Gegen kalte Füsse kaufe ich mir hier ein zweites Paar warme Socken. (Patrice schneidet mir in Berlin digital den Kopf ab und setzt ihn einem base-jumger auf. Nur Bluff!)

In der kommenden Woche unternehme ich vier weitere Velotouren. Monti Motti über den kleinen Weiler Dito ist ein lohnendes Ziel.

 

Wegen einer Baustelle verfahre ich mich und lande unter der Verzasca Staumauer. Kehre um und hoch bis Contra und über die Höhenstrasse nach Orselina und hoch nach Monte Bré und San Bernardo.

 

Wunderbar empfinde ich die Malereien im Wasser der Verzasca bei der alten Brücke Ponte di Salti/Lavartezo. Eine Frau fragt mich: «Springen Sie da runter?» Ich antworte: «Ja, (kleine Pause) kurz vor dem Sterben!» Schliesslich zieht es mich noch weiter ins Tal hinein bis zu dem kleinen Ort Sonogno. In diesem Schattental bin ich sehr froh um den Skihelm und die warmen Schuhe.

 

Die fünfte Biketour bringt mich nach Mergoscia, wo mehrere Taizélieder aus meinem dankbaren Inneren in der Kirche hallen.

 

Mit Wegfahren am 20. November wird vorerst nichts. Schwarze Anzeige, kein Strom. Ein Campingarbeiter kommt mit einem kleinen Lastwagen zu Hilfe. Das fruchtet nichts. Dann lässt er einen Elektro-Buster kommen. Dem geht bald der Schnauf aus. Ein Dritter rät dann wieder mit dem LKW zu koppeln und zehn Minuten zu warten. Das hilft. Der Motor springt an und bittet mich, nicht mehr zu stoppen, bis ich in Vilters angekommen sein werde. Das verspreche ich!

 

Am 21.11.23 feiern wir in Maienfeld den 86. Geburtstag unserer Schwägerin Sibilla. Sibilla ist wohlauf, ausser der nicht sich schliessen wollenden Wunde am Fuss. Daniela und Hansjakob kümmern sich um Sibillas Zuhause und ihre Aufenthalte im Spital in Schiers. Heute verpflegen sie uns köstlich in Sibillas Wohnung.

 

Frau Dr. Fleisch in Bad Ragaz untersucht meine Hautflecken und meint, man könne mit Tolak Crème möglichem Hautkrebs zuvorkommen. Dafür bin ich dankbar und crème mich täglich ein.

 

Nach zwei Tagen in Vilters bekomme ich einen Termin bei Fürk AG in St. Gallen. Leuchtende Anzeige, aber dennoch kein Starten. Der TCS kommt vorbei und hilft überbrücken (22.11.23). Das gelingt. Nicht anhalten bis St. Gallen. Simon Fürk misst die Batterie. Sie ist kaputt. Der Pluspol ist oxydiert und ebenso die verbundenen Leitungsdrähte. Sie müssen gekürzt werden. Schliesslich ist noch eine Sicherung kaputt. Sie sichert den Austausch der Energie beim Laden zwischen der Motorbatterie und den beiden Wohnraumbatterien.

 

Technisch interessiert? Wenn der Motor läuft, lädt er egoistisch zuerst seine Motorbatterie. Falls diese sich vollgesoffen hat, gibt der Motor die überschüssige Energie an die beiden Wohnraumbatterien weiter. Umgekehrt: Wenn ich am Stromnetz 220Volt angeschlossen bin, werden zuerst die beiden Wohnraumbatterien gefüllt und anschliessend die Motorbatterie, sofern sie Bedarf hat. Um diese Umstellung zu regeln gibt es diese Sicherung dazwischen. Ende der Vorlesung.

 

Ich hocke in St. Gallen etwas auf der Bremse, Irmgard anzurufen und möchte es doch so gern tun. O Wunder der Begegnung. Wir stehen uns beim Einkaufen unversehens gegenüber und finden Zeit für einen Austausch.

 

Unser Schwager Hans verspürt am Tag vor Sibillas Geburtstag und am Tag danach starke Schmerzen. Ein Nierenstein findet keinen Ausgang. Hans wandert vom Arzt ins Spital (22.11.23) für eine Trainage-Operation und nach zwei Tagen wieder nach Hause. Nach vierzehn Tagen will man den Stein entfernen.

 

Die Wildsaison geht zu Ende. Unser Verwandter und Hausliferant Hansjakob in Maienfeld ist in Pension. Seine Metzgerei geschlossen. Betty und Paul laden mich zu einem feinen Hirsch-Pfeffer ein (29.11.23). Auch Theres und Hans decken sich nochmals mit Wildpfeffer von der Metzgerei Kalberer in Wangs ein. Wildpfeffer ist bei uns Sankt Galler Oberländern und Bündnern allseits beliebt.

 

  

 

 



 

 

2023 9 September

 

Ab 16. August

 

In der wunderschönen Hitzezeit Mitte August dachte ich eine Schreibpause einzulegen bis ich wieder irgendwo über die Schweizergrenze hinausfahre. Einige Anfragen, zB auch von Samet in der Türkei und Maximilian in Argentinien: «Wo bist du, was tust du?» veranlassen mich ein paar Zeilen zu schreiben.

An ein schönes Plätzchen fürs Geburtstagsessen führen mich Betty und Paul zum «Aufstieg» über Oberschan (17.8.)

 

Fürk AG in St. Gallen (21.8.) ersetzt mir den Kippschalter für das Fahrerfenster. In der Vergangenheit hat mich die zufällige Bedienung dann und wann im Stich gelassen. Sehr unangenehm und windig bei Regen und Kälte mit offenem Fenster zu fahren.

 

Über Triesen FL (23.8.) hat man Sicht frei über das Rheintal.

 

Mit dem ebike strample ich (24.8.) über Pfäfers, Vättis auf den Kunkelspass. Meine Müskelchen geben auch untrainiert immer wieder was her.

 

In Bad Ragaz (25.8.) darf ich Roger in den Bädern empfangen.

 

In Abtwil (29.8.) erzählt mir Adrian von seinen Erlebnissen beim Biken mit seiner Freundin in Albanien, Monte Negro und Kroatien. Sie haben die Freundlichkeit der Menschen und wilde Natur sehr genossen.

 

Tobias lädt an seinem Geburtstag (30.8.) zum «ineluege» in Abtwil. Augenscheinlich sind alle attraktiven Lehrerinnen der Umgebung seiner Einladung gefolgt.

 

Den Monat August beschliesse ich (31.8.) in Mels/Heiligkreuz mit einem Essen mit Betty und Paul, Theres und Hans im Restaurant Heiligkreuz. Paul und Theres sind von sieben meine letzten zwei Geschwister. Wie eh und je freuen wir uns über solche Treffen und Zeiten für Erinnerungen. Den ganz letzten Monatsabschluss mache ich bei einer Sauna mit Marius in Bad Ragaz.

 

Ab 1. September 23

 

Zwei Monate lang habe ich auf Fernsehen und Nachrichten jeglicher Art verzichtet. Du kannst dir nicht vorstellen, wie friedlich die Welt und liebenswert die Menschen dann sind.

Jetzt, am 1. September verpasst Andy beim CCC in Arbon meinem Womo eine neue TV-Schüssel und ein neues Systempanel. Eine kostspielige Sache, aber ich nehme mir nicht vor, möglichst viel zu gucken, um die Schüssel zu amortisieren.

 

Meine Schwägerin Sibilla in Maienfeld hat unheimlich Pech mit einer nicht heilen wollenden Wunde ums Fussgelenk. Immer wieder wird versucht, Haut zu transplantieren. Über Monate lautet ihr Satz, den sie in aller Geduld ausspricht: «Ich muss jetzt halt Geduld haben». 

 

Paul, mein Bruder, feiert am 3. September 23 im Restaurant Aufstieg über Oberschan seinen neunundsiebzigsten Geburtstag.

 

Endlich schaffe ich es in nächster Nähe den Heidiweg ab Pardiel Bad Ragaz kennen zu lernen. Wirklich ein netter Weg, unterhaltsam für Kinder gestaltet mit einer wunderschönen Sicht auf das Sarganserland. Betty führt Verena, Albert (meinen Studienkollegen in Rheineck und Altdorf) und mich diesen Rundweg. Schliesslich lassen wir uns auf die Laufböden hochschaufeln und überqueren auf dem Panoramaweg (ca 2200m) nach Wangs Pizol und fahren per Bahn runter ins Tal.

 

Was ich dir gern verschweigen möchte und es doch nicht kann: Auf Wangs Pizol gibt es bei der Endstation Sessellift eine riesige Baustelle. Ein Wasserbecken soll im Winter für künstlichen Schnee und im Sommer für Wasserevents genutzt werden. Letzte Versuche die Skigebiete in der Schweiz zu retten, bevor sie alle demontiert werden müssen?

 

Sympathisch für Wohnmobilisten sind der Oberalp- und der Furkapass. Kostenlos Wildes Campen. Vom 7.-11. September verbringe ich meine Zeit auf diesen Pässen.

Simon Baumgartner ist Swiss-Heli-Pilot bei der Bodenstation Erstfeld. Mit seinen Flughelfern verbringt eine einstündige Pause auf dem Oberalppass. Die Kerle sind sehr interessiert an meinem zwölfjährigen Reiseleben. Simon ist Appenzeller und hat Dank seinem Grossvater, von dem er Utensilien geerbt hat, auch sein Holzschnitztalent entdeckt. In Appenzell bestückt Simon ein Schaufenster mit Senntum. Ein wahrer Könner, dieser Simon.

 

Kornel meldet kurzfristig, er besuche am Wochenende seinen Bruder in Andermatt. Am Samstag treffen wir uns auf dem Oberalp für eine Seilbahnfahrt Richtung Schneehüenderstock. Mit der kleinen Yara, mit ihrem Bruder Ramon, mit Franziska und Kornel machen wir eine kleine Wanderung auf 2400m zum Lutersee bis Gütsch. Beim Nätschen verabschieden wir uns. Sie fahren zum Geburtstagsfest nach Andermatt und ich per Bahn zurück auf den Oberalppass.   

 

Der Kehren den Oberalppass runter nach Andermatt und auf den Furkapass hinauf sind viele. Dank Wochenende und schönstem Wetter fahren hunderte Motorradfahrer in beide Richtungen. Mein Womo stört das nicht. Es schafft die Steigungen ohne Mühen und gibt den Motorradfahrern auch häufig Zeichen zum Überholen.

 

In Gletsch, am Fuss des Furka- und Grimselpasses treffe ich mit Theres und Hans zusammen. Sie haben den Grimselpass befahren. Als unseren Ausgangspunkt für einige Unternehmen wählen wir Raron und später Fiesch.

 

Hans fährt seinen PW. Der Grosse St. Bernhard ist angesagt. Kurz vor dem Tunnel nach Aosta, den wir nicht befahren wollen, gibt es eine Strassensperre. Passstrasse für eine Woche lang gesperrt. Umkehren. Wir entscheiden uns sofort auf Champex Lac zu fahren, dort zu speisen und um den kleinen See zu laufen. (Albert schreibt mir später, er sei als Student wegen mir zur action fraternelle gelangt und habe auf diesem See eine bateau-Stunde mit einem netten Mädchen erlebt. War mir doch beim Rundgang an diesem romantischen See, da müsse mal vor sechzig Jahren was gewesen sein.)

 

Am 13. September wirkt der Himmel nicht ganz stahlblau. Wir entscheiden uns die Felsenkirche und die Burgkirche, wo R.M.Rilke begraben liegt, in Raron zu besuchen. Der Architekt hat den Raum wolkenartig in den Fels gehauen und getüncht. Kristallartig würde mir einleuchten, aber eine Wolke im Berg?

 

Am Abend schreibe ich unserem Neffen Norbert nach Fanas ein whatsapp, um ihn zu einem Besuch zu reizen. Norbert fährt neu wieder einen schweren Töff. Sofort antwortet er und wir treffen uns anderntags (14.9.) zu hinterst im Saastal auf der Staumauer von Mattmark. Nörbi ist aus dem Prätigau über den Oberalp und Furkapass das Oberwallis hinunter und bei Visp hinein ins Saastal bis zur Staumauer gefahren! Während der Wanderung am See färben sich seine Zehenbeeren, wie er mir später schreibt, in den Töffstiefeln in allen Variationen. Fazit: Töffstiefel zum Wandern ungeeignet. Am Nachmittag tritt Norbert die Heimreise an und landet glücklich und zufrieden am Abend wieder im Prätigau. Theres, Hans und ich bequem im Womo in Raron.

 

Am 15. September dislozieren Theres, Hans und ich mit beiden Fahrzeugen nach Fiesch. Mit diesen beiden Gästen ist immer was los. Ruhetag Fehlanzeige. Am selben Nachmittag lassen wir uns über Kuhboden aufs Eggishorn transportieren, um den Aletschgletscher zu bestaunen. Weil wolkenverhangen zeigen sich die Gipfel rundherum leider nicht. Da wären Prachtskerle darunter.

 

Am Samstag werden wir bei Peter, dem Sohn von Theres und Hans, und seiner Frau Alexandra und Töchterchen Eva erwartet. Hans fährt uns in dieses wirklich enge Binn-Tal hinein, das ich mit meinem Wohnmobil lieber niemals befahren werde, zumal uns heute abschreckenderweise eine Kuhabfahrt begegnet. Die junge Familie ist in Binn mit einem Bergführer eng befreundet. Zusammen sind sie daran neben dem altehrwürdigen Wohnhaus ein Häuschen wohnlich einzurichten. Eine Menge Arbeit, die fachgerecht ausgerichtet wird.

 

Theres und Hans fahren am Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag (17.9.) zurück nach Rotkreuz. Ich sattle mein ebike und fahre damit ins Binntal, bis Binn und rechts weg zum Wallfahrtsort Heiligkreuz. Die vielen zum Dank in Holz nachgebildeten Arme und Beine lassen eine Deutung zu, dass öfter mal geheilt wurde, was in diesen steilen Tälern zu Bruch gegangen war.

 

Mich zieht es für die kommenden Tage wieder hinunter auf den kostengünstigen Campingplatz Simplonsicht in Raron. Schliesslich überlege ich mir ja mal einen Teil des Winters im Wallis zu verbringen. Das Camp in Raron scheint mir aber im Winter trostlos. Die Sonne mag nicht bis auf den Platz. Da suche ich mir was anderes…

 

Seit Tagen leuchtet das Abblendlicht, das mir Roberta in Prag geflickt hat, nicht mehr. In Fiesch fahre ich zu einer Werkstätte. Der Werkstattmeister schaut sich die Sache an und rät mir nach Naters weiterzufahren, um in einer grösseren Werkstätte Hilfe zu erfahren. Er meldet mich dort telefonisch an. Die wunde Kabelstelle ist bald fachmännisch geflickt. Kopfzerbrechen bereitet nur das finden der kaputten Sicherung. Nach einer halben Stunde ist Dank meiner Kenntnis über das Versteck der Sicherungen auch das geschafft. Toller, kurzfristiger Service in jeder Hinsicht.

 

Den Kapellenweg Wandfluh bei Raron/Turtig gehe ich am Dienstag (19.9.) an. In den zehn restaurierten, schmucklosschönen kleinen Kapellen sind Relieftafeln mit Begegnungen aus dem Leben Jesu eingelassen. Keine der Kapellen ist begehbar. Es sind «Bildstöckli». Sehr ansprechend schlicht gestaltet. Die Darstellungen wecken in mir Erinnerungen mit Begegnungen mit Menschen in aller Welt.

 

Nach dem Kapellenweg koche ich mir Fisch zum Mittagessen, während der Blitzgedanke in mich einfährt, nach Zermatt und auf den Gornergrat zu fahren. Am liebsten mit einer Übernachtung in Zermatt. Während ich die Fahrpläne und Hotelmöglichkeiten studiere, verfärbt sich der Fisch in der Pfanne von Silber auf Dunkelangebrannt. Nährt trotzdem. Im Nuh fahre ich von Raron nach Visp und ins Zermattertal. Vis à vis vom Bahnhof Zermatt fährt in ein paar Minuten die Zahnradbahn auf den Gornergrat. Einzig das Matterhorn hüllt sich meist in Nebel. Macht nichts. Das Matterhorn sieht man ja auf allen Schockoladetafeln abgebildet. Aber all die andern Gipfel und Gletscher zeigen sich meist unverhüllt in ihrer ganzen Schönheit.

 

Die Sonne brennt mir ein kleines Denkmal auf die Nase. Vor lauter Staunen und Erinnerungen an frühere Berg- und Skitouren crème ich mir das Gesicht nur ein Mal ein und das ist für mich eindeutig zu wenig. Noch während einigen Tagen versuche ich den Brandherd zu löschen.

 

Ich freue mich in Zermatt zu übernachten und vielleicht anderntags nochmals auf den Gornergrat hochzufahren. In der Eile habe ich am Mittag zwar das Hotel Perren in Zermatt gebucht und bin erstaunt gewesen über den niedrigen Preis. An der Reception findet die Dame erst nach langem Suchen heraus, dass ich das Zimmer genau für einen Monat später, also für den Oktober gleichen Datums gebucht habe. Sie hat meinen Betrag am Nachmittag bereits zu sich gebucht. Nun kostet mich der Irrtum in Eile das Doppelte. Ok. Das Erlebnis ist es alleweil wert.

 

Nur am andern Morgen ist Bewölkung aufgezogen und hat weithin alle Gipfel eingehüllt. Zufrieden fahre ich ohne Gornergrat zurück von Zermatt nach Raron.

 

Ab Freitag, 22. September lasse ich mich auf dem TCS Camping in Sion nieder. Vis à vis, also auf der rechten Rhôneseite liegen Dörfer und Weinberge an den Hängen. Ich hocke aufs bike, erst streng bergauf über Erde und dann hinein ins Val Derborence bis zum Stausee. Wieder etwas Eigenleistung in den Beinen tut gut.

 

Wer animiert mich denn, so Vieles zu unternehmen? Der Blick auf die Landkarte, die die geheimen Täler entlang dem Walliser Haupttal freigibt ist es wohl und das täglich blendend schöne Wetter. Ein weiterer Anreiz besteht darin, meinem Schwager Hans Fotos zu schicken von Tälern und Stauseen, die er auch selber noch gern wieder einmal gesehen hätte. Aber mit fünfundachtzig Jahren gibt es eben noch so viele Termine einzuhalten!

 

Ein Postauto bringt mich am 25. September von Sion nach Grande Dixense und eine Schwebebahn hinauf zur Krone der Staumauer. In dieser überdimensionalen Staumauer hat mein Schwager in den 60er Jahren Messinstrumente eingebaut, um die Bewegungen der Staumauer bei verschiedenem Wasserstand über Jahre hin zu messen. Daher sein technisches Interesse. Ich weiss nicht wieviel KW dieses Werk liefert. Aber ich weiss, wie lange der Weg bis zum hintersten Zipfel des Sees dauert. Während vier Stunden bin ich dem See entlang und zurück gewandert. Murmeltiere haben sich noch nicht schlafen gelegt, sondern pfeifen lautstark meinen Namen in der Gegend herum, so dass ihre Verwandten über hunderte von Metern gewarnt sind.

 

Die Idee heute ist es, der Rhône entlang runter bis Saxon und Richtung Martigny zu biken. Auf der Höhe von Leytron aber locken mich die sanften Rebhänge. Zwar noch grün und keineswegs herbstfarben. Weit oben thront ein Dorf über allem. Ovronnaz. Da will ich hinauf. Die Trauben hängen prall in voller Reife an den Rebstöcken. Hänge mit blauen, Hänge mit weissen Trauben. Sie zu ernten ist harte Arbeit. Polen und Ungarn sind in frohen Scharen unterwegs und füllen Kiste um Kiste. Auf der Anhöhe versteckt liegt eine grosse Bäderlandschaft von Ovronaz und noch weiter hinten ein kleines Skigebiet. Eine Sesselbahn bringt mich auf Jorasse 1947m.

 

Noch so ein Tal lockt mich. Das Val d`Hérens. Ein Postauto (27.9.) schleppt mich bis nach Arolla. Nach einer kurzen Wanderung trotzen der Mont Collon mit 3637 Meter und beidseits hohe Bergmassive meiner weiteren Aussicht. Zufrieden setze ich mich zu den schwarzen Eichhörnchen und schaue ihnen beim Verstecken der Nüsse für den Winter zu. Vor mir machen sie kein Geheimnis über ihre Verstecke.

 

Diesen wunderschönen Monat September schliesse ich mit einer ÖV-Fahrt von Sion nach Saas Fee ab. Ich bin mir wohl bewusst, dass ich in jenem Gletschergebiet auf meine Nase aufpassen muss.

 

Allalin, Alphubel, Strahlhorn, Nadelhorn, in dieser Bergwelt zu stehen und keine Gipfel mehr zu erklimmen, diese Gedanken und alle schönen Erinnerungen machen mich keineswegs traurig, sondern dankbar, diese Berge zu seiner Zeit selber erlebt und unter die Füsse genommen zu haben.

 

 

Mit siebenundsiebzig Jahren kann ich es wirklich gemütlich angehen und ebike und Bahnen aller Art nutzen, ohne wehmütige Gefühle. Anders ja, aber immer noch ein Genuss! 

 

August 2023

 

Nationalfeiertag Confoederatione Helvetica, 1. August. Dankbar bin ich dafür, aus der Schweiz zu stammen und immer wieder dorthin zurückkehren zu können. Nicht in allen Ländern der Welt möchte ich in meinen alten Tagen stecken bleiben. Nicht einmal in dem UNESCO Welterbe hübschen Graz. Es fehlt mir an menschlichen Beziehungen, um mich heimisch zu fühlen.

 

Das Tagfahrlicht auf der linken Seite am Wohnmobil ist seit Tagen kaputt. Ich möchte es reparieren lassen, aber durch wen? An einer Tankstelle nahe beim Stellplatz in Graz frage ich nach einer Werkstatt. Roberta, die Kassierin, kneift die Augen zusammen und ruft zur Kollegin: «Ich bin draussen.» Roberta tastet mit ihren Fingern mit langen roten Nägeln an den Kabeln herum und steckt ihren weissgefärbten Haarchopf in den engen Motorraum. Dann lässt sie mich ein Foto machen. Ein Kabel ist durchgescheuert. Sie umwickelt es mit Panzerband und verengt den Kabelschuh, damit er besser klemmt. Vorerst ist der Kessel geflickt! Roberta blamiert mich total. Als ich ihr meine Ausrede präsentiere: «Ich bin katholischer Pfarrer und verstehe nichts vom Reparieren», herzt sie mich, herzen wir uns warm. Was für eine hilfsbereite, nette Frau! So entstehen menschliche Beziehungen, die Herz und Seele erwärmen. Grund in Graz zu bleiben?

 

Nach einer Nacht Regen (4.8.23) steht die Einfahrt und die Rezeption zum Camping in Klagenfurt am Wörthersee teils knietief unter Wasser. Mit kleinen Pumpen versuchen Leute, das Wasser in die Abwasserrohre hochzupumpen! Sisiphusarbeit.

 

Eine etwa zehnköpfige Junge Erwachsenengruppe aus der Gegend südlich Wien/Neusiedlersee, die schon das vierte Mal hier Sommerferien verbringt, gewährt mir Gastfreundschaft in ihrem «Sonnenzelt». Es geht laut zu und her. Einzelne aber nützen die Gelegenheit mit einem offenen Pfarrer über Gott, Religion, Glaube, Tradition, Trauer, Heiraten ja oder nein, Leben ohne eigene Familie, Alleinsein zu reden.

 

Die Ein- und Ausfahrt zum Camping wird für Tage polizeilich gesperrt. Nach zwei Tagen regnet es praktisch nicht mehr, aber der Wasserpegel auf dem Wörthersee und unserem Camp bleibt überschwemmend gleich hoch. Seltsam. Hat der Wörthersee keinen Abfluss? 

Von Hans, Patrice und Albert erhalte ich wichtige Videos und Hinweise über die Wetterlage und Katastrophen, die sich in Slowenien und Kroatien bereits ereignet haben und in Dänemark und Schweden zu erwarten sind.

Flüsse treten über die Ufer, Brücken werden mitgerissen, Strassen unterspült, durch Murgänge zugeschüttet, Häuser unter Wasser gesetzt.

 

Am Sonntag, 6. August reift in mir auf dem Camping in Klagenfurt, dessen Rezeption noch immer unter Wasser steht, die Entscheidung, meine weiteren Fahrten durch Slowenien, Kroatien, Monte Negro, Albanien, Griechenland abzubrechen. Die Menschen in Slowenien und Kroatien haben vorläufig mit ihren Aufräumarbeiten genug zu tun. Da will ich mich mit meinem Wohnmobil nicht in die Quere stellen.

 

Auch ein Umweg über Italien ist zwecklos. Bologna und Rimini stehen auch unter Wasser.

Eine weitere Verunsicherung beschert mir dann und wann mein Wohnmobil. Bei einem Halt nach dem Tauerntunnel erscheint die wenig vertrauenserweckende Meldung: «Motor defekt!» Das Starten gelingt nicht auf Anhieb. Bei einer anderen Gelegenheit lässt sich das Fahrerfenster nicht mehr schliessen. Bei beiden Meldungen überlege ich mir: «Wann gilt diese Meldung in welchem Land unwiderruflich?»

 

Nach Plan wäre ich noch zirka drei Monate unterwegs. Sehr schade, dieser «vernünftige Abbruch». Das Herz und das Gemüt müssen sich wieder neu orientieren. Neues wird sich eröffnen.

 

Aber nicht in Salzburg. Camping ausgebucht. So fahre ich übers Land Richtung München und zweige im Nirgendwo ab auf Furth 9. Da liegt das Seebauer Camp. Den letzten Platz kriege ich noch an der hintersten Ecke. Tittmoning heisst der Ort.

 

Nach zwanzig Kilometern über Land erreiche ich per ebike erst die innen üppig vergoldete Marienwallfahrtskirche und dann die Altstadt von Burghausen an der Salzach. Über der Altstadt erstreckt sich die «weltweit längste Burganlage» mit sechs Burghöfen (ein Kilometer). Auf der engen, autofreien Altstadtstrasse sind einige Namen von Jazz-Grössen auf Messingplatten eingraviert. Jeden April findet hier ein Jazzfestival statt.

 

Lenka macht mich aufmerksam, ich sei in Burghausen ganz nah an Adolfs Geburtsort Braunau am Inn und an Benedikts Geburtsort Marktl. Beide sind nur zwanzig Kilometer voneinander entfernt geboren worden. Ich besuche weder den einen noch den andern…

 

Am Montag, 14. August 23 biege ich kurz vor Vilters, meinem üblichen Standplatz bei Marco, ab und stelle mich für zwei Nächte im kühlenden Wäldchen am Rhein hin. Eine Erkältung hat sich in mir aufgebaut. An meinem Schnapszahl 77.Geburtstag (15.08.1946) proste ich mir mit Hustensirup selber zu.  

 

Nach dreitausenddreihundertfünfzig Kilometern endet wieder in Vilters bereits mein «grosser Ausflug» über den Balkan nach Griechenland und Italien.

 

Auch in Zukunft werden wieder Ideen geboren. Ob ich sie dann werde ausführen können? Egal. Jedenfalls endet alles, was ich selber entscheiden kann, zu meiner Zufriedenheit.  

 

 

Juli 23

 

Nicht nur Betrügereien und medizinische Klärungen dämpfen meinen Reiseelan, sondern die Abschleppereien und IVECO-Reparaturen tragen auch dazu bei. Diese Ergänzung zum Juni-Reisebericht kommt mir gerade in den Sinn, da ich mir die zweite und letzte Shingrix (Anti-Gürtelrose) Spritze setze.

 

Die ehemalige Cargo-Zeppelinhalle ist jetzt umfunktioniert in eine «Tropic Island» Wasserspielhalle. Das war ehemals Sperrgebiet mit eigener Flugpiste. Bunker auf der einen, verwahrloste Truppenunterkünfte auf der anderen Seite. Keine Augenweide und trübe Vergangenheit. Hier radle ich mal 60 Kilometer und warte zwei Tage lang auf die Einfahrt zum Stellplatz BWSG Marina in Köpenick (30.6.23).

 

Diese Einfahrt im Süden von Berlin gelingt staufrei. Der Stellplatz, kein Camping, ist praktisch gelegen, an der Dahme nachts sehr ruhig, aber auch verwahrlost.

 

Nach dem Motto «Es ist nie falsch, das Richtige zu tun», schneide ich auf dem kleinen Sitzplatz die wuchernden Pflanzen zurück, jäte und fege den teils feuchten Dreckboden mit dem Besen. Der Eispickel hilft die Ränder säubern und die Schneeschaufel den Dreck wegwerfen. Jetzt können meine Gäste kommen!

 

Die kleine Amaia freundet sich bald mit meinem Stellplatz an. Kleine Steinchen ins Wasser werfen und im Womo das Mittagsschläfchen halten. Ganz okay! Als ich sie mit ihren Eltern Alyona und Patrice in Tram und S-Bahn nach Hause begleite, schaut sie immer rückwärts, ob ich ihnen folge. Sie würde mich sonst vermissen. Auf dem Sonntagsspazierweg will Amaia mir gar die Hand reichen! Wie fühle ich mich von der Kleinen angenommen!

 

Auf dem Mauerpark in Berlin, wo früher nach Überläufern geschossen wurde, tut sich eine Menge Friedliches. Menschen aller Farben sitzen in kleinen Gruppen und sieden Tee oder Kaffee, grillieren. Andere handeln auf dem Flohmarkt, den sie jedes Wochenende auf- und abbauen. Die Kinder spielen auf dem grossen Spielplatz. Zweitausend Leute sitzen in der offenen Arena und hören den mutigen Karaoke Sängerinnen und Sängern zu. Applaudieren. Der Holländer Initiator fährt dazu per orange angemaltem Fahrrad die Verstärker herbei. Ein ständiger Erfolg für ihn.

 

Maricka begleitet mich nach Bernau, nordöstlich von Berlin. Hier wohnt Eva, die Frau von Felix mit Samson und Uri, während Felix in Polzow wohnt und als bildender Künstler arbeitet. Bernau wurde von einer einzigen Bombe getroffen, die als Blindgänger fast keinen Schaden angerichtet hat. Die Häuser innerhalb der Stadtmauer zerfielen während der DDR-Zeit mangels Renovationsmaterial. Diese schadhaften Riegelhäuser wurden bei der steigenden Wohnungsnachfrage durch Plattenbauten ersetzt. Nicht hübsch, aber doch ein Zeitdokument. 

 

In der evangelischen Kirche von Bernau stossen wir auf «Totenkronen». In Kästchen, wie Reliquienschreine aussehend, wurden im 18./19. Jahrhundert Kronen und Ornamentbänder aufbewahrt. Diese Kronen wurden jungen Frauen gewidmet, die unverheiratet früh verstorben sind. Sie galten am Grab als Ersatzkronen zur Anerkennung ihrer Jungfräulichkeit, als Ersatz für die irdischen Brautkronen, sozusagen als himmlische Brautkronen.

 

Bei Heidi und Martin in Köpenick gibt`s immer leckeren Kuchen und vieles mehr serviert im Garten mit Sicht auf die Spree. Ihre jungen Familien von Anna und Susi stossen auch dazu und diskutieren ganz angeregt über ihre Alltagserfahrungen und frühere Zeiten, auch darüber, dass man über Kriegserfahrungen von den wieder zurückgekehrten Vätern aus russischer Gefangenschaft kaum was erfahren hat. Das grosse Schweigen.

 

In Köpenick suche ich einen Arzt, der mir intravenös eine selbst mitgebrachte Spritze gegen Osteoporose setzen kann. Eine Roboterstimme antwortet mir am Telefon und stellt mir Fragen. Eine SMS soll ich gelegentlich zur Antwort erhalten. Ich überlege mir, mich irgendwo auf der Strasse hinzulegen, damit der Notfalldienst angefahren kommt und mir - auf mein Bitten hin - diese Spritze setzt. Das wäre vielleicht der schnellste Weg. Nachdem ich diesen Unsinn geschrieben habe, ertönt das Warnhorn! Dadiidadiidadii. Verpasste Chance.

 

Ich frage weiter. Ganz in der Nähe gebe es eine Ärztepraxis. Ich radle unangemeldet dorthin, werde freundlich empfangen und in einer halben Stunde fliesst das hilfreiche Gift Dank Frau Dr. Sternkopf und ihren MPAs in meiner Vene dem Herzen entgegen. 16.08 Euro. Derselbe Preis und unkompliziert wie damals in Norwegen. Eine SMS, wie von der Roboterstimme versprochen, kommt nie bei mir an.

 

Ich sitze heute (6.7.23) im Touristenboot, um mich zu vergewissern, mich in Berlin zu befinden.

 

Bei der Kita-Abschlussfeier im Montbijoux-Park Hackesche Höfe werden alle Sprachen gesprochen, am wenigsten Deutsch. Ein kulturelles Miteinander und Wohlgefühl in der Stadt.

 

Am überdimensionalen Tesla Gelände, dem unglaublich viel Wald zum Opfer fällt, geht’s vorbei zur Spree. Einheimische bangen, ob nach Jahrzehnten hier noch sauberes Wasser fliessen wird, oder ob die Industrie alles Wasser missbraucht.

 

Ein volles Naturerlebnis ist die Kanufahrt auf der Spree mit David und seinem Sohn Paris. Beim Aussteigen an der Böschung zum Picknick wird mir meine Unbeweglichkeit zum Verhängnis und ich lande mit einer Hälfte im Wasser. In der trockenen Hälfte steckt mein Handy. Ich kämpfe darum, dass es so bleibt und es bleibt so.

 

Am Abend fährt David mit mir in die Stadt Berlin. Im Marienberg, im Keller einer alten Elektrizitäts-Umschaltzentrale haben sein Vater Wolf Friedrich und einige weitere Künstler Naturbilder ausgestellt. Sein Sohn Moritz und die Schwiegertochter Friendly sind zur Finissage auch da. Ein Künstlernest von Menschen, die sich verstehen.  

 

Um Mitternacht radle ich mit dem ebike von Schöneiche nach Köpenick. Noch zu Beginn dieser einstündigen Fahrt schaue ich im Lichtkegel in mehrere Augenpaare. Nach einer privaten Gartenparty trottet eine Wildsaufamilie zur Strasse. Ich rechne mit einem Angriff, komme aber glimpflich davon. Die Familie lässt mir den Vortritt und weicht in den Garten zurück.

 

Benno und Ulrike verbringen die Mittagszeit mit mir in ihrem schattigen Garten in Köpenick. Sie bieten sich an, mit mir zur S-Bahnstation Wuhlheide durch den Wald zu wandern. Angenommen. In Wuhlheide ist der Ticketautomat kaputt. Drei S3 Bahnen fahren ohne mich weiter, bis es mir in Karlshorst von einer Kante zur andern wandernd gelingt, ein Ticket zu lösen. Die Automaten sind darauf programmiert, mich zu demütigen, da ich im Grunde genommen den öffentlichen Verkehr wegen solcher Vorkommnisse «hasse».

 

Amaia bekommt Dank meinem Sonntags-Besuch ausnahmsweise ein zweites Eis in dieser Woche! Zuvor aber bewirtet Patrice Alyona und mich an der Kastanienallee mit feinem Saltinbocca.

 

In der spektakulär grossen Buchhandlung Dussmann an der Friedrichstrasse kann ich meinen Womo-Reiseführer «Tschechien» abholen.

 

In Schöneiche bei Berlin verabschiede ich mich am Krokusweg von Maricka und Willi. Am Liebsten würden sie mit mir am Müggelsee entlangfahren, aber Willi darf nach einer OP ein paar Wochen lang nicht mehr aufs Fahrrad.

 

Ein junges Ehepaar kommt in Köpenick vom Boot an Land. Sie begrüssen mich mit «Mahlzeit». Wie das? Ich sitze mit leeren Händen auf einer Bank. «Mahlzeit» sei ein kumpelhaft üblicher Gruss. Ich höre ihn zum ersten Mal ausser der Essenszeit.

 

Das Camping bei Lübbenau fahre ich an wegen der Waschmaschine. In diesen heissen Tagen freut sich mein Bett darauf. Luckau erreiche ich mit dem e-bike.

Viel Korn ist geerntet. Mit einem strahlenden Lächeln beginnen die Sonnenblumen ihre Köpfe zu heben. Ich bin immer voller Bewunderung über diese riesigen Felder.

 

Pirna (14.7.23), einst eine schwarze Stadt, überrascht mich mit vielen herausgeputzten Häusern in der Altstadt. Der Radweg der Elbe entlang bis Königsstein (20km) ist erholsam. Erstaunlich dicht ist der Eisenbahnverkehr mit Personen- und Gütertransport zwischen Dresden und Prag.

 

Am 16.7.23 fahre ich in der Tschechei ein. «Es gibt nichts Subjektiveres als das Objektiv des Fotoapparates.» Das wird mir wieder einmal deutlich bewusst, als ich die «Orgelpfeifen» in Prachen im Norden der Tschechei anfahre. So gewaltig wie auf den Fotos erscheinen die Basaltpfeiler in natura nun doch nicht, auch wenn sie bis zu 12 Meter lang aus der Erde herausragen. Aus dreissig Kilometern sollen sie aus dem Innern an die Erdoberfläche geströmt und dann langsam erkaltet sein. Langsam meint über Jahrtausende. Solche Naturprozesse lassen mich über unsere Erderwärmungstheorien und wissenschaftlich verordnete Micro-Korrekturen schmunzeln.

 

Der Norden der Tschechei wirkt augenfällig erbärmlich. Auf diesen gottverlassenen Strässchen im hügeligen Waldland fühle ich mich nicht sehr wohl. Abschleppen? Ich flüchte nach Prag und finde Platz auf der kleinen Insel Louka in der Moldau. Eine Woche lang lasse ich mich hier nieder, um die herausgeputzte Stadt zu besichtigen.

 

Praktisch: Alle öffentlichen Verkehrsmittel sind in Prag für Menschen über fünfundsechzig kostenlos. Nur den Personalausweis dabeihaben und ein- und aussteigen, wo ich will. Ich benutze aber auch meine Füsse und das Fahrrad, um all die vielen Plätze und Bauten zu sehen. (Welche das sind, siehst du auf meinen Fotos. Über die Geschichte und ein besonderes Erlebnis in Prag habe ich bereits im Oktober-Reisebericht 2016 geschrieben.)

 

Die Touristen-Attraktion schlechthin ist die Turmuhr am Alten Rathaus, wenige Meter über den Köpfen tausender Zuschauer, die sich jeweils zur vollen Stunde einfinden. Zwar versteht kaum jemand das ausgeklügelte Werk, aber oberflächliches Interesse findet es alleweil. 1410 wurde dieses Wunder geschaffen und wird bis heute am Laufen gehalten. Wahrlich eine Sensation!

Allerdings wollte der erste Erbauer «nur» eine astronomische Uhr in seiner Reinheit. Daran wurde in den nächsten Jahrhunderten herumgebastelt und mit volkstümlichen Elementen erweitert. Wie zB die Sonnenuhren, das Totenskelett, das an der Glocke zieht oder der Umgang der Zwölf Apostel und viele malerische Ergänzungen, sowie mechanische Uhrwerksverbesserungen. Mein Interesse und Staunen an diesem Gesamtwerk wird besonders durch die Beschreibungen im Internet geweckt. Jetzt bin ich klüger als zuvor.

 

Die Ausfahrt (22.Juli) aus dem Inselcamp in Prag ist knifflig, doch spielt die Gewichtsbegrenzung im GPS eine grosse Rolle. Ich stelle die Zulassungsdaten jetzt von 6.7 auf 5 Tonnen (effektives Gewicht) runter, damit mein GPS nicht dauernd herummeckert und mich Wege im Zickzack führt.

 

Das hilft mir aber auch nicht, als ich auf Karlstein zufahre. Plötzlich ist der Weg gesperrt und es gibt keine Hinweisschilder für eine Umfahrung. Mein Abbiegen führt auf löcherige Feldstrassen. Ich gebe bald frustriert mein Ziel auf. Mit diesem Frust im Gemüt fahre ich auf die Vier nach Süden. Noch schlimmer. Baustellen über Baustellen.

 

In Pisek frage ich mich, ob ich das wirklich will. All diese Länder im Osten auf ihr Strassennetz überprüfen?

 

Das Telefon von Stefan aus der Schweiz und die wunderschönen Fotos von Kornel mit dem Womo im Wallis unterwegs, die Stimmen von Theres und Hans am Telefon heizen meine Umkehrstimmung an. Immer wieder schiele ich auf der Landkarte nach möglichen Rückzugwegen. Ich bin noch westlicher wie Wien! Seit Tagen beschäftigt mich die Frage nach einem «neuen Format». Wie will ich was jetzt und künftig unternehmen? Worauf lasse ich mich noch ein?

 

Diese trüben Gedanken lösen sich im Naturschutzgebiet Sumava, an der Grenze zu Österreich, am riesigen Lipno-Stausee, an dem ich drei Tage verweile und e-bike, wieder auf.

 

In Richtung Tisc werde ich wegen einer Baustelle von der Autobahn abgewiesen. Unentwegt fordert mich das GPS auf zu wenden. Nach fünfzig Kilometern stehe ich praktisch vor der Grenze zu Linz A.

Bei einer Tankstelle erhalte ich die Auskunft, um das MyTo, das tschechische Mautgerät abzugeben, müsse ich fünfzig Kilometer nach Ceske Budejovice zurückfahren! Da bin ich entseelt! Was nun? Tschechischer Umleitungsfrust.

Ich fahre noch zweihundert Meter um die Ecke vor und entdecke das Zollgebäude. Hier kann ich das Mautgerät problemlos abgeben! Das Mautgerät für Österreich bekomme ich ebenfalls an der ONO Tankstelle unmittelbar beim Zoll. Nun ändern sich meine Reiseziele wegen dieser undefinierten Baustellen und Mautgeschichten aber drastisch!

 

Mein übergewichtiges Womo ist jetzt mit dem österreichischen Mautkästchen ausgerüstet, ich verlasse Tschechien und befinde mich ausser Plan in Österreich.

 

Linz zeigt sich als eine wüste Industriestadt und selbst der Tunnel zu meinem Camping am Rande der Stadt nahe der Donau ist ein paar Kilometer vor meinem Ziel gesperrt!

 

Nächstes Ziel wählen: Graz! Unzählige Tunnels lassen mich die Schönheit der Täler, die ich befahre, nicht erahnen.

 

In Spital bei Pyrhn-Priel will ich diese Frustfahrt für ein paar Tage vergessen. «Wir können Ihnen leider nur eine Nacht offerieren! Mehr geht nicht!» Daraus werden dann doch zwei und ich kann die 2,4 Kilometer lange Dr. Vogelgesang-Klamm er-treppen-wandern.

 

Auf der Weiterfahrt Richtung Graz (29.7.23) kommt eine siebenspurige Maut-Zahlstelle. Ganz rechts für Busse und LKW. Also nehme ich die Prepayed links, schliesslich habe ich auf meinem GO-Apparat vorausbezahlt. ZG 90498 nicht gültig erscheint für hunderte Autofahrer sichtbar eine Meldung auf dem Monitor am Strassenrand. Ha! Ich muss von der ersten auf die siebte Spur wechseln, während die Autos auf allen Spuren dicht hinter einander stehen! Zentimeter für Zentimeter dränge ich in die zweite Reihe. Jede/r kämpft für sich.

Und jetzt die filmreife Szene: Ein Autofahrer auf der dritten Spur steigt aus und bahnt mir mit Handzeichen eine Quer-Durchfahrt. In wenigen Augenblicken hat dieser freundliche Verkehrsprofi mein, unser aller Problem gelöst! Grossen Dank! Auf der siebten Spur lasse ich nun hunderte Autos im Stau stehen und rassle davon.

 

Was bin ich froh, durch zufälliges Herumzappen auf Garmin den Stellplatz Zentral in Graz von aussen her anfahren zu können. Im Nuh bin ich da, nur acht Fahrradkilometer vom Zentrum. Nach all dem Stress plane ich mal sechs Tage in Graz zu bleiben.

 

Ausruhen? Statt ruhen geht`s kurz nach der Ankunft (29.7.23) ab auf`s Velo. Die Stadt verdient den UNESCO-Status. Toll. Die Altstadt ist sehr dicht und schön, gut zu Fuss zu durchschlendern.

 

Nach so vielen Putschversuchen auf meine Reiselust in Monat Juli stehen meine Lebens- und Reisegefühle in Graz wieder auf vollschön!

 

 

Ach Ja! Wie geht`s dem Wohnmobil? Es macht alles tapfer mit, lässt sich da und dort von Strauch- und Baumästen über`s Haupt und an den Wangen streicheln. Es wartet einzig auf einen Augendoktor, um am linken Tagfahrauge wieder Licht zu bekommen.  

 

ab November 22 bis Mitte Juni 23 entfallen die Reiseberichte 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ab 12. JUNI 2023

 

Theres bemerkt schon richtig, mein Reiseelan hat merklich nachgelassen. Vor zwölf Jahren, als wir in die Dolomiten loszogen, und alle Jahre danach war ich am Steuer sofort in Hochform. Auch noch letztes Jahr zwei Mal in Norwegen.

 

Obwohl ich mir den Reisestart für dieses Jahr auf den 12. Juni gelegt habe, gibt es innerlich ein Zögern. Eine Magenspiegelung im Mai ruft nach Antibiotica. Eine Darmspiegelung danach läuft glimpflich ab. Die medizinische Fahrerprüfung für den C1 Ausweis bestehe ich am 31. Mai ohne ärztliches Bedenken.

 

Eine Woche vor der Abreise lasse ich mich auf eine perfekte Betrügerei ein. «Wir müssen ihr SwissPass-Konto sperren». «SBB kann ihre Rechnung nicht begleichen.» «Sie haben noch eine Woche Zeit, das Konto zu erneuern.» Das digitale Oberflächendokument sieht perfekt aus, wie wenn man bei einem neuen App, das zahlungsfähig sein soll, die Kreditkartendaten eingibt. Erwischt! In Spanien bezahlt jemand eine Rechnung von 21 Euro, eine weitere von 25 und eine von 75 Euro. Der Sicherheitsdienst bemerkt jetzt den Betrug und sperrt meine Kreditkarte bevor die Bande einen Betrag von 2100 Euro und einen von 2400 Euro abheben kann. Danke schön!

Solche digitalen Betrügereien und medizinischen Untersuchungen dämpfen mein Hochgefühl vor Reisebeginn.

Losfahren tue ich pünktlich am 12. Juni 2023 in Vilters. Die Himmelsrichtung stimmt noch nicht. Ich fahre nämlich zu Theres und Hans nach Rotkreuz, um an meiner Wohnadresse die neue Kreditkarte abzuholen und einzurichten.

 

Anderntags fahre ich wirklich los. Mein Gemüt sagt, das ist noch nicht die geplante Reise. Du fährst jetzt erst mal auf einer Besuchstour durch Deutschland. Das liegt ja vor der Haustüre. Nach Winterbach zu Bärbel und Hans, nach Kirchheim unter Teck zu Katja, nach Panschwitz-Kuckau zu Michaels 70. Geburtstag, nach Schöneiche b.Berlin zu Maricka und Willi, zu David, nach Köpenick zu Heidi und Martin, zu Ulrike und Benno, nach Berlin Zentrum zu Alyona und Patrice. Ich schreibe dir alle diese Namen und Orte, damit du meinem Gefühl folgen kannst. Das Gefühl flüstert mir zu, wenn du alle diese Besuche gemacht hast und von Berlin wieder südwärts fährst, beginnt deine eigentliche Reise!

 

Bärbel und Hans planen auch wieder mit ihrem Sprinter loszufahren. Aktuell nach Frankreich, um ihre Tochter und Familie zum Klettern zu begleiten. Hans bringt mich von Winterbach nach Schorndorf zu Vodafone. Hier kann ich die deutsche Simkarte mit einem Europaguthaben aufladen. Das funktioniert noch nach zwei Jahren Nichtgebrauch. Jetzt kann ich viel günstiger das Internet in ganz Europa gebrauchen, von Berlin bis Griechenland, sofern die Staaten, die ich durchfahren werde, zur Europäischen Gemeinschaft gehören.

 

Schorndorf lebt durch eine hübsche kleine Altstadt mit Fachwerkbauten.

 

Katja und Frank empfangen mich in ihrer neu umgebauten, eleganten Wohnung. Frank hat mit viel Geschick selber viel Hand angelegt. Ein Könner auf vielen Gebieten, auch als Heilpraktiker. Mit Katja verbinden mich Erlebnisse aus ihrer Jugendzeit und meiner ersten Arbeitsstelle in Gossau. Lang ist`s her und die Freundschaft, nicht oft gepflegt, hält Dank innerer Tiefe. Katja führt eine eigene Praxis für psychologische Hilfe, was auch in Deutschland immer mehr beansprucht wird.

 

Auch Kirchheim unter Teck präsentiert renovierte Fachwerkbauten in der Altstadt.

 

Von Kirchheim weg bitte ich das GPS, mich nach Rottenburg ob der Tauber zu begleiten. Dazu ist es gern bereit. Nach zwanzig Kilometern kann ich bei einem Lichtsignal nicht mehr Gangschalten. Im ersten Gang rolle ich so gut es geht über den Strassenrand hinaus und schalte die Warnblinker ein. Gelbe Weste anziehen. Pannendreieck positionieren. Der dreispurige Verkehr wird nicht behindert, obwohl ich zwischen zwei Autobahnauf-und Abfahrten (München/Karlsruhe) stehe. Versicherung anrufen! Auf verschiedene Antworten warten.

Nach vier Stunden wird das Womo mit den Vorderrädern auf der hydraulischen Gabel des Abschleppfahrzeuges «Schüler» angehoben und vertaut. Eine schwierige Arbeit löst der Chef, indem er unter dem Womo liegend die Cardanwelle vor der Hinterachse abschraubt. Dies ist wichtig, weil die Hinterachse auf der Strasse mitrollt. Nach fünf Stunden lädt «Schüler» in der Sackgasse vor seinem Depot in Zell unter Aichelberg mein Wohnmobil ab. Ich darf im Womo schlafen.

Morgen Freitag, 16. Juni gucken Fachleute, was man machen kann und klären mit der Versicherung. Abwarten. Ich mache mir feine Omeletten und schmiere Erdbeerkonfitüre darauf. Die letzte Nachfrage von den Versicherungen erreicht mich nachts um halb Elf. «Brauchen Sie kein Hotel? Können Sie im Wohnmobil schlafen? Geht das? Morgen sehen wir weiter. Wir rufen Sie dann am frühen Nachmittag an.»

 

Die Versicherung versichert mir telefonisch mehrmals bei der Hotelsuche, Mietauto- oder Taxisuche zu helfen.

Vierundzwanzig Stunden nach der Panne legt sich der Mech unter mein Womo und konstatiert, da lässt sich was machen. Er schraubt die Kardanwelle wieder fest und zurpft die entfesselten Kabelzüge mit Kabelbindern fest. Jetzt kann ich zu seiner Garage fahren. Dort dreht er die Schrauben der Kardanwelle nochmals fest und ersetzt bei der Kabelverbindung die notwendige Metallklemme, sichert noch mit Kabelbinder. «Was kostet es?» «Geben Sie was in die Kasse, dann ist der Fall erledigt.» Um fünf Uhr bin ich wieder frei. Ich weiss mit der gewonnenen Zeit kaum was anzufangen, denn ich glaubte, mindestens bis Montag festzusitzen.

 

Jetzt aber los! Auf einem riesigen Umweg wegen Bausperre gelange ich am Abend noch nach Wasseraalfingen vor Aalen, auf einen mir bekannten Parkplatz.

 

Im Erzgebirge besuche ich die kleine Stadt Schneeberg. Ein Jugendchor und der MDR Chor treffen sich zu einem Konzert in der St. Wolfgang Kirche. Da bin ich doch gern dabei und geniesse die sehr verschiedenen Beiträge zu Licht und Dunkel.

 

«Gebirge» suche ich in dieser bewaldeten Hügellandschaft vergeblich. Wohl aber kann ich den Bergleuten nachempfinden, sich in den lichtlosen Gängen und Schächten beim Erz-, Silber- und Uranabbau «im Gebirge» zu befinden. Bewundern tue ich die Holz-Handwerkskunst. Die Lichtbogen, die in der Winterzeit in die Fenster gestellt wurden, um den Vätern und Brüdern den Heimweg zu zeigen, haben mich immer berührt.

Trotz vielen Umleitungen und Baustellen erreiche ich den mir bekannten Stellplatz an der Elbe gegenüber der Altstadt von Dresden. Wegen vieler Schwierigkeiten auf den Strassen glaubte ich schon, diese Stadt aufgeben zu müssen. Umso mehr geniesse ich die ruhigen Abendstimmung am Ufer.

 

Mit der nötigen Vor- und Rücksicht lässt sich Dresden mit dem Fahrrad gut erkunden. Die Radwege der Elbe entlang sind besonders schön.

 

Franc, der Goldkunstschmid für Ornamentik neben mir geparkt, animiert mich die Kunstschätze im Grünen Gewölbe in seiner neuen Unterkunft im Residenzschloss zu besuchen. Heute jedes Stück in seiner Vitrine! Damals, in den siebziger DDR-Jahren, standen alle Schätze wie in einer Abstellkammer verwahrlost eingezwängt im historischen Grünen Gewölbe. 

 

Was ich in Erinnerung an Dresden auch mitnehme, sind die wohlriechenden Duftwolken unter den blühenden Linden!

 

Jetzt (21.6.23) fahre ich mit dem Velo von Panschwiz-Kuckau nach Schweinerden. Der ganze Weg eine einzige niedrige Lindenallee. Was für ein zärtlich nährender Duft!

 

Kola (Karl) besucht das einzig sorbisch sprechende Gymnasium in Bautzen. Sorbisch ist zumindest Pflichtfach für alle, auch wenn es einzelnen LehrerInnen freigestellt ist, in welcher Sprache sie ihre Fächer unterrichten.

 

Auf meine Frage, wie viele Sorben es in der Lausitz gibt antwortet Lenka: «Wer ist wirklich ein Sorbe, eine Sorbin? Die Person, die in der Familie sorbisch spricht, sorbisches Brauchtum kennt und lebt? Oder ist auch die Person Sorbe, Sorbin, die deutsch spricht, die Traditionen der Sorben nicht mehr von Kindsbeinen an miterlebt, aber hier lebt und sich sorbisch fühlt?» Entsprechend ungeklärt kann man auf die Frage nach der Anzahl Sorben mit dreissig- bis sechzigtausend antworten.

 

Lenka fährt mit mir zum Lausitzer Findlingspark Nochten. Auf dem riesigen Tagesabbaugebiet, wo ein Dorf und Weiler abgerissen wurden, ist seit 2003 ein imposanter Garten und Findlingspark eingerichtet worden. Etwa siebentausend Findlinge, die einst auf dem Gletscher von Norwegen/Schweden bis hierher verfrachtet wurden, liegen in diesem grossen mit Kräutern und Büschen begrünten Park.

 

Der Wallfahrtsort Rosenthal liegt nur sieben Kilometer von Panschwitz-Kuckau entfernt. Als ich Rosenthal erreiche, zeigt das Tachometer fünfundzwanzig Kilometer an. So weit reicht meine Orientierungslosigkeit über Felder und durch Wälder.

 

Die heissen Tage sind vorbei. Das open air Konzert des gemischten Chores Lipa wird in die Kirche von Storcha/Bacon verlegt. Sorbische Chorgesänge, heitere Schildbürger-Geschichten aus dem Dorf Saalau (das immer wieder für solche Geschichten herhalten muss) und Klaviersolostücke werden vorgetragen. Ich verstehe kein sorbisches Wort, aber die musikalischen Darbietungen gefallen mir sehr. Beim Pfarrer gibt’s nachher back stage noch ein Bier, schliesslich hat der Chor auch zu Gunsten einer Orgelrenovation auf seine Einnahmen verzichtet. «Diese Kirche wird sich dereinst zu einer Hochzeitskirche mausern,» meint Pfarrer Werner, darum lohne sich die Orgelrenovation.

 

Mir gefallen die kleinen Ausflüge per Fahrrad an den weiten Korn-, Raps- und Kartoffelfeldern vorbei, über sanfte Hügel hinauf und hinab. Lenka radelt mit und zeigt mir die Autobahnkirche Uhyst am Taucher und die mit modernen Holzskulpturen vom Bildhauer Friedrich Press in den Jahren 1976-1981 ausgestattete Kirche von Göda.

 

In Uhyst am Taucher lagerten die Russen Atombomben. Die Region war Sperrgebiet und von den Einheimischen im Alltag als solches kaum wahrgenommen. 

 

Michael, mein Brieffreund aus der DDR Zeit und Pfarrer im Kreis Kamenz/Bautzen, darf unzählige Glückwünsche zu seinem siebzigsten Geburtstag beim Gottesdienst in Ostro und Mittagessen im Restaurant «Am Bad» in Höflein entgegennehmen. Auch fünfzig Leute aus seinem kleinen Wohnort Schweinerden sind als GratulantInnen zu Kaffee und Kuchen vorbeigekommen. Michael findet grosse Anerkennung und Dankbarkeit als der gute Prediger, der aus dem Leben erzählt. Ich kann das nur aus der Reaktion der Leute beurteilen, denn von der sorbischen Sprache, was eine slawische Sprache ist, verstehe ich kein Wort, ausser dass «nej» nein und «no» ja heisst.

Michael führt mich auf der alten Stadtmauer und durch Bautzen. Die Stadt ist herausgeputzt und für die regionale Bevölkerung sehr wichtig. Ein Unikum ist die Kathedrale, die simultan von den Katholiken und den Evangelisch-Lutherischen Christen benutzt wird. Während des Baues wurde das Kirchenschiff aus statischen Gründen mit einem Knick in der Längsachse fertiggestellt. Im vorderen Bereich steht der Altar für die Katholiken, vor dem Knick der evangelisch-lutherische.

 

Die gotische Kathedrale auf dem Schlosshügel von Meissen thront ebenso wie das ehemalige Bischofsschloss hoch über der Stadt. Die offenen Balkone verschiedener Restaurants hängen über den Dächern der Stadt. In keinem Schaufenster der Stadt sehe ich Meissner Porzellan. Lenka meint, Meissen sei zu wenig touristisch, als dass sich das Ausstellen lohne. Das Porzellan, das nicht mehr so gefragt sei, sehe man in den Schaufenstern von Dresden.

 

Nach einer Woche bei den Panschwitzer Freundinnen und Freunde verlasse ich sie am 28. Juni 23 wieder. Stehen durfte ich auf dem künftigen Bauplatz von Katka und Bernhard am St.Sebastianweg 1 in Panschwitz-Kuckau.

 

Unterwegs fesselt mich das Buch von Michael Anders, Aus den Gerichtsakten des Klosterarchivs St. Marienstern, 2012.

 

 

Auf dem ehemaligen Gelände des Zeppelinwerkes vor Berlin, lese und ordne ich meine Gedanken. Das Zeppelinwerk ist heute eine Freizeithalle «Tropical Island».