2016 Januar

Neujahrskonzert des Sinfonieorchesters St. Gallen in der Tonhalle (Johannes Wildner, Leitung. Bruno Riedl, Moderation). Die „Bank Weglin“, alias „Bank Notenstein“, alias „Bank Notenstein La Roche“ sponsert dieses akustische Grossereignis. So ein Mal im Jahr mag ich die Walsermusik von Strauss`ens, vom Dirigenten sehr fein zubereitet, ganz gern. Dieselbe Begleitung über Jahre hinweg und das anschliessende Abendessen geben dem ersten Tag im Jahr eine besonders warme Feierlichkeit.

 

Historische Banken werden umgebaut. Hunderte Menschen sind mit dem Umbau beschäftigt. So auch Freunde von mir. Was soll ich mich also wegen der noch so grossen Reparaturen an meinem Wohnmobil beklagen. Meine Bank wird mir schliesslich helfen, die Reparaturen zu bezahlen.

 

Neun Wochen lang habe ich auf mein Zuhause verzichtet. Fürk AG macht nun anfangs Jahr das Angebot, die Mängel wirklich zu beheben und das Womo statt im Kanton Zug im Kanton St. Gallen vorzuführen. Das Womo besteht die Prüfung durch die Motorfahrzeugkontrolle in St. Gallen am 11. Januar 2016 erfolgreich. Zum ersten Mal in seinem Leben fährt das Ding auf ebenen, geraden Strassen gerade aus!  Ob das Gefährt nun meinen künftigen Belastungen standhalten wird?

 

Béatrice hat die Idee, mich mit Bischof Ivo Fürer an einen Tisch zu bringen und lädt spontan dazu ein. Jedes von uns freut sich sehr auf diese Begegnung. Ivo habe immer wieder nach mir und meinen Womoreisen gefragt, sagt Béatrice. Nun besteigt und besichtigt er im Alter von bald 86 Jahren in Gossau mit Interesse mein Womo. Er fragt, staunt und schmunzelt über diese andere Welt, in der ich lebe.

 

Bischof Ivo ist dabei, die Dokumente aus seiner Zeit als Sekretär der europäischen Bischofskonferenz historisch zu sichten und für ein Buch bereitzustellen. Mit acht Kardinälen und zwölf Bischöfen, die er dann und wann zu einem privaten Zirkel nach St. Gallen gerufen hatte, hat der Kollegenkreis bereits schon vor der Wahl von Kardinal Ratzinger zum Papst, Kardinal Bergoglio vorgeschlagen. Damals erhielt Bergoglio vierzig Stimmen. Um nach den Wurzeln der Wahl von Papst Franziskus zu forschen, müsse man also nach St. Gallen fahren. Bischof Ivo habe sich damals öffentlich im Fernsehen zur Wahl Kardinal Ratzingers geäussert: „Dem hätte ich meine Stimme nicht gegeben.“

 

Mit erstaunlichen und amüsanten Details zum Besuch von Hillary Clinton bei Bischof Ivo in St. Gallen unterhält uns Ivo bei Tisch. Es seien etwa zehn Limousinen vorgefahren. In einer habe eine ähnliche Dame wie Hillary gesessen. Hillary aber sei sicherheitshalber in einem einfachen Bus vorgefahren. Wer die opferbereite Dame war, die sich im Terrorfall an Stelle von Hillary hätte in die Luft sprengen lassen, wissen wir nicht.

 

Das hübsche Kleid für die Swiss Award Vorstellung 2015 hat die Diplomatin Heidi Tagliavini zusammen mit Ivo und seiner Verwandten Monika bei Acris ausgelesen. Ivo hat sie nämlich bei ihrer Erholung von den diplomatischen Strapazen in der Ukraine im Weissbad AI besucht und sie zur Kleiderwahl begleitet. Das war eine Woche vor dem Swiss Award. Junge, Ivo, hast du einen guten Geschmack!

 

Mit den Worten „Hoffentlich wieder einmal“, bedankt sich Ivo, bedanken wir uns gegenseitig beim Abschied.  

 

Wo finde ich meine Zeit wieder? Ich habe sie nicht verloren. Sie ist einfach weg. Emanuel, mein Patenjunge, besucht mich im Womo in St. Gallen und heizt nach meinen missratenen Schinkengipfeli seinen Cevapcici tüchtig ein. Danach will ich noch für eine Viertelstunde zu Michi in The Room. Nach angeregten Bar-Gesprächen mit ihm und Gästen bin ich bereit, zum Womo zurückzukehren. An der Bushaltestelle bemerke ich, um diese Uhrzeit fährt kein Bus mehr. Zweieinhalb Stunden meiner Zeit sind einfach weg. Nein, ich empfinde sie keineswegs als verlorene Zeit, darum gehe ich sie auch nicht suchen.

  

Einmal anders begegnen. Meine Womo-Doktoren, der Werkstattchef Marc und Simon, der Sohn von Adrian Fürk AG, laden mich zum Tag der offenen Türe ihres Bogenschiessclubs nach Gossau ein. Diese Freude erfülle ich ihnen gerne. Simon erklärt mir die Bogentechniken. Unter seiner Anleitung, er übt diesen Sport schon seit sechs Jahren aus, jage ich drei Pfeile auf die Scheibe. Das Erstaunliche: Man zielt nicht mit dem Auge dem aufgelegten Pfeil entlang, sondern schiesst „aus dem Bauch heraus“. Das allerdings braucht einige Übung, die mir nach den ersten drei Versuchen noch fehlt!

 

Der Jodlerclub Pizol lädt zum traditionellen Jodlerabend in Vilters. Schöne Melodien, religiöse Lieder, dazwischen derbe Witze in derber Oberländer Sprache. Ein Gemisch, das vielleicht nur St. Galler Oberländer goutieren. Ein Jodler-Kinderchor bestehend aus Mädchen und Buben von vier bis fünfzehn Jahren trägt witzig arrangierte Lieder vor. 

 

Matthias Angehrn lädt zu seinem Abschiedsgottesdienst von der Pfarrei St. Fiden in St. Gallen ein. Schon beim einleitenden Spiel der Hackbrettformation Anderscht (ich habe sie im November 2015 schon gehört) schwingt mein Herz und alles, was daran hängt, mit. Der Kirchenchor singt gefällige Lieder. Bei den Rice up Liedern singe ich herzhaft mit. Wir singen auch das Vater unser nach Rismki Korsakov. Dieses emotionale Stück habe ich in den Pfarreien Halden, Neudorf und St. Fiden eingeführt und sukzessive eingeübt. In dieser ergreifenden Melodie und Jesu Worte finden sich die unterschiedlichsten Gedanken und Anliegen aus der Tiefe des Herzens. Sooou schööön. Viele KirchgängerInnen sind dankbar, dass die Seelsorgenden der drei Pfarreien dieses Vater unser  auch nach meinem Weggang dann und wann singen lassen. Matthias und seine Frau Kathrin dürfen sich über die ehrenden Dankesworte, Gebete und Sketche nach zehn Jahren Pfarreileitung herzlich freuen.

 

Den Start zum Skifahren verbringe ich an zwei wunderschönen Tagen in den Flumserbergen. Hei, wie das kurvt und rast! Das 2013 operierte Knie muckst überhaupt nicht auf. Die jüngste, schmerzhafte Verspannung der Rückenmuskulatur hat sich Dank Physiotherapie und Muskeltraining wieder ergeben. Sooou schööön!

 

Gleich drei Geburtstage feiern wir in meiner Verwandtschaft im Januar . Meine Geschwister  Theres (74 Ende Dezember) und Ernst (77). Die Cousine Rosa wird gar 90 Jahre alt. Das gibt Gelegenheit zu lockeren Verwandtschaftstreffen. Leider kann unsere Schwester Bernadette (im Mai 85) nicht dabei sein. Sie ist gestürzt und leidet unter heftigen Rippenschmerzen.

 

Jeanne Brown und Barry Colson aus Halifax (Kanada) treffe ich wie damals in Kanada versprochen in Davos. Barry ist jeweils im Januar Barpianist im Hotel Europe. Ein Entertainer am Flügel, mit digitalisierten Bass- und Schlagzeugeinsätzen. Viele Fans halten ihm seit Jahren die Treue. Zur WEF-Zeit finden auch Minister und Aussenminister Platz an „seiner Bar“ so wie ich jetzt in dieser musikalischen Nacht. 

 

 

 

2016 FEBRUAR

 

Skifahren lohnt sich in den Flumserbergen und am Pizol jeweils am Vormittag. Da sind die Pisten fein mit zusammengekratztem und Kanonen-Schnee präpariert. Am Nachmittag wölben sich gefährlich harte Platten über die steilen Hänge herunter.

 

Maria Lichtmess. Verwandte und Nachbarn in Vilters bitten mich, am 2. Februar Kerzen zu segnen.  Licht-Messen sind im Altertum Wachs-Börsen. Das Wachs für Kerzen wurde für den ganzen Jahresbedarf an Licht-Messen gehandelt und dann geweiht. Mit dem Licht zog man symbolisch dem Heilsbringer entgegen und nahm es  so geweiht wieder mit nach Hause. Später verschob sich dieser Gedanke und die Bedeutung auf die Reinigung Marias im Tempel, daher Maria Lichtmess.

 

Beat, mein Patenjunge, hält sich zur Arbeit für kurze Zeit in China auf. Dort trifft ihn aus heiterem Himmel eine Gesichtslähmung. Kein Schlaganfall, kein Tumor, aber was dann? Diese Fragen und Unsicherheiten werden uns lange Zeit beschäftigen.

 

Mit Martin verbindet mich eine nach der Pensionierung wieder erweckte Freundschaft aus der Gymnasialzeit in der Marienburg Rheineck. Das Alter merkt man uns beim Skifahren nur durch die häufigeren Beizenbesuche an.

 

Roman feiert in St. Gallen seinen 68sten Geburtstag mit einem Tag der offenen Türe. Ende März will er seine Praxis als Herzdoktor in andere Hände geben und in Pension gehen. Als Pianist und Taizé-Pianist in Halden wird er mir und vielen weiterhin eine besondere Freude bereiten. Auch Verena, seine Frau, freut sich auf ihre berufliche Entlastung. Von ihr wird man in Zukunft noch mehr schöne Gemälde entdecken. 

 

Um 14.14 Uhr beginnt am Fasnachtssamstag in Halden der Fasnachtsumzug für Familien. Die Kirche leistet mit ihrer Offenheit seit Jahren dazu einen erfreulich grossen Dienst. Der Pfarrer zieht mit WC-Rollen als Fernrohre behängt mit und verteilt die Rollen als Geschenke. Mit einem solchen Fernrohr lässt er auch mich Ausschnitte aus der Wirklichkeit genauer betrachten. Dieses Symbol passt zu seinem grossen sozialen Engagement.

 

Fasnacht bedeutet da und dort Knallerei. Das gefällt meinem Womo. Am Samstagabend erschreckt es Stefan und mich mit einem lauten Knall. Ein Luftfederungsbalg ist wieder abgeknallt. Den Montag und Dienstag verbringe ich im Autospital und zusätzlich bei Besuchen im Kantonsspital in St. Gallen.

 

Und weil wir schon am Flicken sind, gibt auch noch die Heizpumpe den Geist auf. Eine neue Pumpe führe ich vorsorglich mit. Simon hilft mir sie auszuwechseln.

 

Damit dürfte das Februar-Soll an Reparaturen erfüllt sein. Was meinst du?

 

Am Fasnachtssonntag ertönt in der Kathedrale St. Gallen ein – so wie die Leute gewohnheitsmässig dasitzen – ernsthaftes Fasnachts-Orgelkonzert mit fröhlicher Musik aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert.

 

Meine älteste Schwester Bernadette wird von ihren Schmerzen erlöst und stirbt.

Bernadette Riedi-Becker

13. Mai 1931 – 8. Februar 2016

Von den Pflegerinnen und Pflegern im Altersheim Monteluna, Pfäfers, wohlwollend und liebevoll umsorgt, hat sie sich dem Unausweichlichen ergeben. Ihren ausdrücklichen Wunsch, sowohl auf das Begräbnis als auch auf eine Grabstätte im Friedhof zu verzichten, respektieren wir….

 

Jolanda am Rorschacherberg findet immer noch, ich sei ein lieber Götti. Sie schwärmt zu Recht…von ihrer Hochzeit, die ich damals in Kanada weilend verpasst habe. Sie und auch ihr Mann Pascal sind mir sehr sympathische Leute.

 

Am 15. November 2008 haben wir die Schwestern aus dem Kurhaus Obere Waid in St. Gallen verabschiedet. Frau und Herr Thorbecke haben an der Verabschiedung teilgenommen, danach das Gebäude abreissen lassen und ein modernes Gebäude finanziert. Am 15. November 2012 haben sie Kurhotel und Privatklinik eröffnet. Bei Besuchen habe ich Gelegenheit, die tolle Anlage etwas kennen zu lernen.

 

Die Luftfederung soll bei Ariva in Wangen a.d.Aare untersucht werden. Mach ich doch gern. Ich übernachte auf einem Autobahnrastplatz vor dem Bestimmungsort, damit ich morgens bereits vor dem Werkareal stehe. Auf den drei Kilometern morgendlicher Fahrt dorthin leuchtet das Batteriezeichen rot! Das ist der neueste Einfall des Womos, mich zu ärgern. Aber es gelingt ihm nicht. Allerdings bin ich kurz beunruhigt, ob ich meine versprochenen Fahrten in diesem Jahr wohl werde ausführen können. Es wird schon werden, sagt mir bald eine innere Stimme.

 

Jochen forscht nach dem Grund der Luftfederungspannen und wird nach intensivem Studium in der Einstellung der Gestellhöhe fündig.

 

Das Granulat in den Kompressoren möchte er ebenfalls kontrollieren. Zum Glück. Das Innenleben der Granulatboxen ist wasserfeucht und rostbefallen. Höchste Zeit. Es wird Mittag. Jetzt ist da noch die neue Geschichte von der Batterie. Jochen misst. Der Alternator ist kaputt, die Batterie wird nicht mehr geladen. Wer kann das Problem beheben. Fahre ich nach Biel oder Rothenburg? Jochen jedenfalls muss heute Nachmittag zu einer Beerdigung fahren.

 

Trotz allem, Jochen baut mir in der Mittagspause den Alternator aus und bestellt einen neuen. Es wird ein Uhr, bis Jochen die Werkstatt verlässt. Nach der Beerdigung will er wieder kommen und den neuen Alternator, den ein Mitarbeiter inzwischen abholen fährt, einsetzen. Falls das nicht klappen sollte, offeriert mir Ariel Hauser, der Chef von Ariva, die Nacht im Womo in der Werkhalle zu verbringen!  

 

Jochen ist bis halb sechs noch nicht zurück. Das verschafft mir aber die Ehre, Markus, den Senior-Chef von diesem Familienunternehmen kennenzulernen. Ein gläubiger Christ, wie ich aus seiner Lebensgeschichte erfahre. Während seinen Aufenthalten in Saudi Arabien hat er den damals erst mal vierzehnjährigen Jungen Osama Bin Laden und einen Teil seiner Familie kennengelernt. Ein wachsamer, feinfühliger, intelligenter  gläubiger Muslim, den der blödsinnige, verlogene Krieg der Amerikaner im Irak zugesetzt hat. Markus, der Seniorchef, segnet mich zum Abschied im Namen Jesu.  

 

Ich sitze immer noch im Womo in der Werkstatt, um diesen Bericht zu schreiben. Um halb sechs fährt der Lift mitsamt Womo und mir hoch. Jochen ist von der Beerdigung zurück und legt wieder Hand an! Der Alternator zur Stromgewinnung wird eingebaut. Eine kurze Probefahrt ergibt ein noch nie dagewesenes Wohlgefühl am Steuer. Für das Trinkgeld bedankt sich Jochen mit einem zweifachen: „Spinnst du?“  „Ja, ich spinne, ich bin mindestens so glücklich wie du“.

 

Zur Wegfahrt soll ich bei einer Kreuzung von fünf Strassen in der ersten Strasse links abbiegen. Gesagt getan. Ein offener Parkplatz bei einer Kirche erlaubt mir das Telefonieren. Ich wundere mich über das gediegene Entrée zur Kirche und gucke im Schaukasten nach, welche Konfession so was gebaut. Ein Pfarrer kommt angefahren und erkundigt sich, ob ich nur zum Telefonieren angehalten hätte. Ich stelle mich kurz vor als ein ebenfalls katholischer Pfarrer der in St. Gallen gearbeitet hat. „Heisst Du Becker?“ „ja, Lorenz Becker“. „Ich heisse Alex Maier. Ich habe damals als Student am Kollegium Appenzell bei dir Exerzitien in St. Arbogast gemacht. Das war mit dem heissen Stuhl,“ erinnert er sich. So eine schöne Begegnung. Leider sind Pfarrer im Dienst überbeschäftigt. Er kommt von einem Abendgottesdienst und muss gleich wieder weg zu einer Pfarreiratssitzung. Im Internet werde ich wohl bald mehr über Alex erfahren…

 

Bis Bern sind es nur noch vierzig Kilometer. Um nicht allein in die Ostschweiz zu reisen, rufe ich spontan Stefan an, ob er zusammen mit mir von Bern aus seine Mutter in St. Gallen besuchen fahren möchte. Ebenso spontan: „Sehr gern.“ Um Mitternacht legt sich das Womo in St. Gallen schlafen. Zum Frühstück überraschen wir Béatrice und setzen uns in der Oberen Waid einer nach dem andern gleich mit an die Tafel. Sooou schöööön!

 

Mila ist zur Zeit ein herziges Tüpfelschweinchen. Dutzende rote Tupfen auf ihrem Gesicht, und wie sie mir lachend zeigt, am ganzen Körper. Trotz der wilden Pocken strahlt sie aus ihren leuchtenden Augen. Bei Elin sind die Tupfen bereits wieder vertrieben und Yaro, das kleine Brüderchen ist nicht ganz so übersät davon. Nadine und Tobias meistern auch diese Zeit in Abtwil bestens.

 

Auf der Autobahn nach Vilters kreuzt mich der nächste Patenjunge, Roger. Über WhatsApp lässt er mich wissen, dass ich überall gesichtet werde.

 

Dominic kommt mit Joline und Shana mitsamt Omi Silvia zu Besuch ins Womo nach Vilters. Die Mädchen warten darauf, mal eine Nacht im Womo zu schlafen! Sooou schööön. 

 

 

2016 März

Schon eindrücklich, wenn der achtzigjährige Dirigent Josef Rüegg eineinhalb Stunden ununterbrochen am Dirigentenpult steht, sich dann und wann mit einer Hand am leichten Notenständer Halt ertastet. Er dirigiert die zweiundfünfzig Mitglieder des Kleinen Sarganserchores in Buchs, dazu vier Solisten und ein neunzehnfach instrumentiertes Ad hoc Orchester. Nach der Zugabe bittet der Dirigent das Publikum, noch ein Stück vortragen zu dürfen. Es dauere nur fünf Minuten! Unermüdlich, dieser Josef Rüegg. Ein sehr stimmiges, feines Konzert. 

 

Anfangs März fällt Schnee. Ich verbringe Superskitage am Pizol. Ein Skilehrer meint auf dem Sessellift: „Ich habe Sie beobachtet. Merken Sie nichts in den Knien. Sie fahren mit Vorlage tief unten. Das ermüdet doch die Knie.“ „Das ist mein Fahrstil. Rücklage gebe ich im Tiefschnee.“ Leider verabschiedet er sich, ohne mich zu schulen. Nach viereinhalb Stunden tief in den Knien trainiere ich anschliessend noch im Fitnesscenter in Bad Ragaz. Was für ein tolles, beschwerdefreies Körpergefühl. Ich bin für meine Gesundheit so dankbar. Sooou schööön!  

 

Urs lockt mich auf eine Skitour. Genau das Richtige. Auf dieser Skitour gedenke ich meines verstorbenen Bergfreundes Guido Beeler. Den Hüeneri über Mels-Vermol haben wir in unserer Skitourengruppe öfters bestiegen und unsere Spuren in die sanften Hänge geschwungen. Heute Skitour, morgen Beerdigung von Guido in St. Gallen. Sooou bewegend!

 

Auf dem Hüenerchopfchamm windet uns der Föhn fast von der Kante.  Schneekristalle beissen ins Gesicht. Wir entschliessen uns nach drei Stunden Aufstieg zum Rückzug. Auf der Frachtseite liegt tiefer Schnee. Beim ersten Drehversuch erwischt mich ein heftiger Wadenkrampf und wirft mich zu Boden. Gestürzt. Das hat es seit vielen Jahren nicht mehr gegeben, wage ich zu bemerken. Die nächsten Hänge sind sehr locker und ich komme wieder in gute Schwingung. Urs macht es mir vor. Nahe Vermol liegt der Schnee schon ganz zerfurcht und schwer. Ich werde vorsichtig und bringe die Kraft nicht mehr auf für elegantes Schwingen. Urs lässt sich gar nichts anmerken. Gut so, denn bald wird er mit einem Bergführer Tourentage  anpacken. Für mich ist diese Option endgültig vorbei. Mich schmeisst es bis Vermol runter noch zwei Mal zu Boden. Ich stehe nicht mal mehr elegant auf. Ein Gewürge und Geächze, dass sich die Skistöcke biegen. Unerhört!

 

Zurück im Womo in Vilters vermisse ich mit grossem Schreck mein Iphone. Aus welchem Grund habe ich den Reissverschluss an der Seitentasche meiner Hose geöffnet? Das Iphone muss rausgefallen sein. Perfekter Schreck! Alles überlegen, wie ich zu meinem Handy im tiefen Schnee komme, hilft nur wenig. Da wüsste auch der Heilige Antonius nicht, wo an den drei Sturzstellen mit Suchen beginnen. Wie weiter? Ich lege mich zum Nachmittagschläfchen und schlafe tief. Beim Erwachen sofort wieder diese bitteren Verlustgedanken und daran, was es zu tun gibt. Wo habe ich die Hosentasche wofür geöffnet und wo genau bin ich gefallen? Noch steckt in der rechten Tasche das Lawinenverschüttetensuchgerät. In der Linken nur ein Lippenstift. Kein roter, nein, farblos, um die Lippen zu schützen. Moment mal! Wo hatte ich den Fotoapparat? In der linken Tasche! Und sicher nicht das Iphone noch dazu. Dann muss das freche Ding, ohne es mir deutlich zu sagen, wohl in der Rucksacktasche Platz genommen haben… Und so ist es…. Sooou erleichternd…

 

Um fünf Uhr ist Abfahrt in Sargans. Mein Schwager Sepp und ich nennen es Fahrt zur Weiterbildung. Hightech-Entwicklungen am Automobilsalon in Genf. Paradoxerweise sollen wir mit dem Zug oder Bus anreisen, um Stress auf der Autobahn und bei der Parkplatzsuche zu vermeiden, heisst es beim Veranstalter! Autodesignern muss der Beruf sehr viel Spass machen. Eleganz aussen und perfekte Innendekoration. Mir gefallen sehr viele Modelle.

 

Weiterbildung? Viele Stunden reichen gerade mal, hunderte Autos von aussen zu bewundern. Die scheinbar kompetenten Boys und Girls schaffen es gerade einmal, Fingerabdrücke der Besucher sofort zu polieren und Staub ohne Bedarf von den Karossen zu wedeln. Auf Fragen zur Technik pressen sie ihre Ipads in die eine Ellenbogenkehle und suchen mit einem Fingersnip der freien Hand eine passende Antwort, die ausbleibt. Der  Weiterbildungseffekt bleibt für mich gleich Null.  

 

Was für eine galaktische Spannung in unserer Welt. Diese Hightechnologie und gleichzeitig das Stochern von Menschen in Abfallhaufen. Die siebenhundert PS Autos zum Protzen. Und Menschen im Himalaya, in den Anden und in Afrika die fragen, wie viele Teppiche es in einem Flugzeug gibt, damit man sich setzen kann. Ich wettere nicht über die Technik. Ich benutze sie sehr ausgiebig. Mir macht nur die Gleichzeitigkeit dieser astronomisch voneinander entfernten Zustände auf unserem  Planeten Angst. Wie wir über einfache Menschen mit unserer wissenschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen, kriegerischen, religiösen und medizinischen Macht herfallen, wie wir diese Menschen unserem Fortschritt ausliefern.  

 

Dutzende jugendliche Musikerinnen und Musiker finden sich bei den Jungtambouren, bei der Jugendmusik und auch bei der Musikgesellschaft  Vilters. Entsprechend vielfältig und beschwingt tönen die auf hohem Niveau vorgetragenen modernen Stücke an ihrem Neujahrs-Konzert. Soou schöön! 

 

I Melodisti singen und musizieren im Städtlitorkel der Familie Lütolf-Keller in Sargans. Ein Genuss. Urs verrät mir eine Woche vorher, diesen Anlass im Zusammenhang mit seinem 70. Geburtstag Ende 2015 - still und bescheiden wie er ist - geplant zu haben. Ich verrate ihm, dass ich ohne dieses Wissen ein paar gemeinsame Freunde zum Konzert eingeladen habe. Gegenseitige Überraschung. Was Freundschaft doch alles ermöglicht!

 

Michael Robson, Kanadier, hat Theres, Hans und mich im Mai 2015 in 100 Miles House in British Colombia wegen meiner Zuger Autonummer angesprochen. Nun weilt er selber in Zug. Ein Grund, ihn aufs Michelskreuz über Rotkreuz zu entführen. Michael geniesst diesen herrlichen Ausblick bei der Kapelle übers Zugerland und die Alpenkette. Ein kleines Dankeschön an die kanadische Gastfreundschaft und Freundlichkeit unsererseits, die wir in Kanada stets genossen haben.

 

Christian, der Bruder meines Firmpatenjungen Michael, feiert in Nürnberg seinen siebenundzwanzigsten Geburtstag. Er lädt ins Restaurant Australian zu Känguru und Heuschrecken. Ich fühle mich bei Letzterem wie Johannes der Täufer. Eigentlich gut. Mit den Eltern der Jungs, Gabi und Ralf Steinel, fahre ich von Nürnberg zum Osterreiten der Sorben in die Lausitz, nördlich von Dresden.

 

Mit Michael Anders hatte ich bereits im Studium in den siebziger Jahren durch Taizé vermittelten Briefkontakt. Mit verschiedenen Freundinnen und Freunden aus der Schweiz habe ich Menschen in Ostberlin und der Lausitz öfters besucht. Daraus sind bleibende Freundschaften entstanden.

 

Nicht nur die Stapo der DDR hat mich überwacht. Auch Bern schickte mir eines Tages einen Polizisten zur Aufklärung meiner Spionagetätigkeit nach St. Gallen. Aufdecken konnten sie „nur“ Freundschaft.

 

Seit fünfhundert Jahren hat das Osterreiten bei den Sorben Tradition. Die Reiter ab vierzehn Jahren in schwarzem Frack und Zylinder singen und verkünden die Botschaft: „Christus ist auferstanden“. Die Männer glauben, was sie mit starker  Stimme verkündend singen. Pferde nicken zur Botschaft,  andere tragen ihren Kopf  stolz erhoben, als sei ihnen bewusst, dass sie die Botschaft des Lebens in die Welt hinaustragen. Ein bewegendes, herznahes Erlebnis. Sooou schöön!

 

Soou glaubhaft, wenn man mit den traditionsbewussten katholischen Sorben befreundet ist und sozusagen inneren Zugang zu ihrem Denken, Empfinden und Glauben hat.

Insgesamt nehmen tausendsechshundert Reiter und Pferde paarweise an den Prozessionen teil. Michael segnet eine Gruppe Pferde und Reiter. Lenka, seine Schwägerin, bewirtet zusammen mit Franz Josef und Verwandten eine Gruppe von Reitern auf ihrem Marschhalt in Schweinerden bei Panschwitz-Kuckau, nahe dem Kloster Marienstern.  

 

Die Sorben sind ein westslawisches Volk. Heute zirka zwanzigtausend Menschen, vor allem in der katholischen Region der Oberlausitz. In der lutherischen Region der Niederlausitz zerbröckeln Sprache und Brauchtum zusehends. Die Sorben sind  als nationale Minderheit und als Staatsangehörige anerkannt. Ihre slawische Sprache ähnelt am Ehesten der Slowakischen und Kroatischen. Selbst meine Freunde aus Nürnberg staunen, dass es sowas in Deutschland gibt. Eine bereichernde Entdeckung für sie, zumal sie von meinen Freunden herzlichst aufgenommen und viele Fragen in Gesprächen beantwortet wurden.

 

 

Gleich zwei Freundespaare gehen Ende März in Pensionierung: Roman und Verena und Gallus mit Heidi. Auch sie sind, wie ich, voller Ideen, die neue Freiheit zu gestalten und zu geniessen. Michi Frommi gibt die Führung der Bar The Room auf. Mehrere Gründe für mich, diesen Monat in St. Gallen intensiv zu beg(schl)iessen.  

 

2016 APRIL

Campofelice in Tenero präsentiert sich als sehr sauberer Campingplatz. Da lasse ich mich für eine Weile nieder. Gioia und Dominic besuchen mich mit ihren Kindern Joline und Shana. Sie schwärmen von Carona auf der Anhöhe zwischen Morcote und San Salvatore.

 

Mit Hans und Theres verpassen wir auf der Fahrt nach Carona einen Abzweiger und landen in Morcote. Auch gut. Denn Morcote ist zur Zeit touristisch noch nicht überlaufen. Die steilen Treppen bis zur Kirche hinauf bieten herrliche Aussichten. Wie kommen nur all die Toten auf diesen hochgelegenen, steilen Friedhof. Viele alte Menschen schaffen es nicht, die Kirche und die Gräber ihrer Verstorbenen zu besuchen. Das Gelände ist sehr steil und fällt direkt in den Luganersee ab. Auf der Hochebene über Morcote entdecken wir Carona mit den malerischen Häusern und Gassen.

 

Was für ein karges Dasein hinter Tesserete in den früheren Schmuggler-Dörfern des Val Colla bis ganz hinten in Bogno und Colla!

 

Die Kamelien blühen im März. Einzelne Nachzügler deuten auf die vergangene Blütenpracht im Kamelienpark beim Lido von Locarno.

 

Sonogno, fast am Ende des Verzasca Tales hat sich fein herausgeputzt. Zu Fuss geht es bequem eine Stunde weiter hinein in das rauhe, zerklüftete Val Vegorness bis zum hübschen Weiler Cabiöi, wo die Ziegen das frische Gras in Milch verwandeln. Ja, sie fressen sogar Bananenschalen und verarbeiten sie vermutlich zu Bananenmilch. Ohne Hirten ziehen alle Tiere mit der Herde weiter, neugierig auf alles, was sie sehen und riechen. Der weiche, weisse Ziegenkäse schmeckt hier köstlich. Danke ihr Braunen, Grauen, Weissen und Schwarzen.

 

Bei gestochen scharfer Sicht auf die Magadino Ebene empfangen wir Beatrice und Stefan mit einem Risotto da Lorenzo.

 

Mich erstaunt die üppige Pracht in der Kirche von Madonna del Sasso über Locarno. Für eine Kapuzinerkirche viel zu prunkvoll. Madonna del Sasso gehörte zum Kloster unten in Locarno. Ein Kapuziner ohne Rang und Namen hat hier oben wie ein Einsiedler gelebt. Er soll eine Erscheinung Mariens geschaut haben. Danach hat man diesen Ort in verschiedenen Etappen ausgebaut.

 

Wau. In Ascona wird Reis angebaut und teils in Grossverteilern verkauft. Reisfelder in der Schweiz!

 

Stefan möchte ganz nach hinten ins Onsernone Tal. Beatrice zögert wegen der teils sehr engen Strassenabschnitte. Mir macht es Spass, ihr starkes Auto dorthin zu lenken. Das ist typisch Schweiz: Geteerte Strassen bis in den hintersten Kracher und natürlich Postautoverbindung. Vom letzten Dorf namens Spruga aus wandern wir eine halbe Stunde runter zu den Bagni di Craveggia.

 

Theres und Hans fahren leider nicht mehr mit uns. Von Hans aber erfahre ich via e-mail mehr über die Geschichte bei der Bäderanlage von Craveggia. Das Badehaus steht auf der italienischen Seite des Baches. Es wurde 1951 und 1986 durch Schneelawinen von der schweizerischen Seite her arg zerstört. Als Denkmal mit zwei neuen Freiluft-Granitwannen und Fussbecken wurde es im Jahre 2015 wieder in „Betrieb genommen“. Das Quellwasser fliesst von der italienischen Seite her und ist 28 Grad warm. Bereits im 14. Jahrhundert werden die Quellen als „Aquacalda“ urkundlich erwähnt.

 

Hans erinnert sich, dass in der Pension "Regina Pacis" in Locarno auch zwei junge Italiener waren, von denen die Ordensfrauen verrieten, dass es italienische Partisanen seien, die übers Onsernone-Tal in die Schweiz gekommen seien. Folgendes hatte sich damals ereignet:  

 

Am Ende des zweiten Weltkrieges kapitulierte die faschistische Regierung Italiens vor den anrückenden alliierten Truppen. Der italienische Staat löste sich schlagartig auf. Vorübergehend bündelten sich partikulare Interessensgruppen. Die Deutschen zerschlugen jedoch die sich anbahnenden regionalen Strukturen sofort. Viele Italiener flüchteten, andere wurden Partisanen. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Schweiz wurde als Kind dieser wirren Zeiten am 10. September 1944 die Republik Ossola ausgerufen. Sie überlebte nur 35 Tage und wurde von der neuen Regierung im Süden von Italien und von den Alliierten im Stich gelassen, von den Tessinern aber, soweit dies der begrenzende Rahmen des Status der Neutralität zuliess, unterstützt. Die Republik Ossola endete am 14. Oktober 1944, als nazi-faschistische Truppen den Hauptort Domodossola zurückeroberten.

Viele Partisanen flohen in die Schweiz, ins Wallis und ins Tessin. Etwa fünfhundert Flüchtlinge, die Hälfte davon Zivilisten, davon 37 Frauen und 31 Kinder, fanden sich nach einer abenteuerlichen Flucht beim Kurbad Craveggia/Spruga wieder. Sie baten um Asyl in der Schweiz.

 

Inzwischen war eine schwerbewaffnete, ca 200 Mann starke nazi-faschistische Truppe in Begleitung von vier deutschen SS-Offizieren von Craveggia di Vigezzo aufgebrochen. Sie gelangten am Vormittag des 18. Oktober 1944 zu den Bädern, gingen in Stellung und eröffneten das Feuer auf Partisanen und Zivilpersonen. Zwei Menschen wurden getötet, viele verletzt und in Gefangenschaft genommen. Der Rest floh den Weg hinauf nach Spruga, drei Kilometer vom Bad entfernt.

 

Der Kommandant der schweizerischen Grenztruppe ging zu den Bädern und verhandelte mit den italienischen Offizieren. Diese forderten die Rückschaffung der geflüchteten „Banditen“ und zwar lebendig, verletzt oder tot. Andernfalls würden sie nach Spruga vordringen und die abtrünnigen Verräter eigenhändig zurückholen. Ihr Ultimatum: bis zum nächsten Morgen um sechs Uhr früh!

 

Die Schweizerische Armeeführung reagierte prompt. Ihre Leitung in Andermatt beorderte eilends eine Grenadierkompanie ins kritische Grenzgebiet. Drei motorisierte Gruppen erreichten Spruga um 22 Uhr. Die Übrigen trafen nach einem Gewaltmarsch von sechzig Kilometern in den frühen Morgenstunden dort ein.

 

Am 19. Oktober 1944 eröffnete der Tessiner Kommandant pünktlich um sechs Uhr, das Ultimatum werde abgelehnt. Die Schweizer würden sich jeglicher Grenzverletzung entgegenstellen. Nötigenfalls werde Gewalt mit Gewalt beantwortet. Nach einem Blick auf die errichteten Geschützstellungen auf Schweizer Seite mässigte der italienische Offizier seinen bisher arroganten Ton und zog sich zur Beratung zurück. Wenige Zeit später brach die nazi-faschistische Truppe ihre Stellung ab und verliess das Onsernonetal.

 

Hunderte von Kindern aus Domodossola und den von dort fächerartig ausgehenden Tälern fanden in dieser unruhigen Zeit Pflegeeltern im Tessin. Als Erwachsene erinnerten sie sich noch lange an „il paese del pane bianco“, das Land des weissen Brotes.

 

Elia, der Sohn von Stefan, studiert Innenarchitektur an der Fachhochschule in Lugano. Als einen seiner Lieblingsplätze zeigt er uns den botanischen Garten „San Grato“ in Carona.

 

Das Aprilwetter drückt am 25. in Vilters noch einmal nassen Schnee auf die Blüten, Blumen und Wiesen.

 

 Der Zahnarzt drückt mir eine neue Brücke, zu vergleichen mit der Taminabrücke bei Pfäfers-Valens, in den Mund. Jetzt sollte das Gebiss für die nächsten Reisen wieder halten.

 

2016 Mai

 

Schmerz und Trauer kriechen um die Seele, wenn ich beim Totengedenken unserer Verstorbenen – und es sind schon einige - in Vilters daran denke, was wir alles nicht mehr miteinander teilen können. Der erste Maisonntag ist für unsere Verwandtschaft jeweils diesem Gedenken gewidmet. Sepp nutzt die Zusammenkunft, um uns nachträglich zu seinem Geburtstagsfest einzuladen. So halten wir doch zusammen, die Lebenden und die verstorben Lebenden. 

 

Am zweiten Maitag fahre ich mit Stefan los nach Konstanz. Er holt hier sein revidiertes Tenor-Saxophon beim Instrumentenbauer ab. Beim Einsteigen ins Wohnmobil klinkt der Traggurt aus und der Koffer fällt samt Inhalt zu Boden. Stefan bläst zum Test. Drei Klappen öffnen nicht. So eine Enttäuschung… begleitet uns den ganzen Tag und kriecht über Stefans Gemüt.

 

In Dinkelsbühl bewundern wir die trotz Kriege und moderner Bauwut unzerstörte Altstadt, umgeben von Verteidigungsmauern und Türmen. Ich möchte Stefans Enttäuschung bezüglich Saxophon wieder aufhellen und frage auf der Strasse nach einem Instrumentenbauer. Richard sei der richtige Mann. Der wisse alles. Er ist Antiquitäten-Trödler und einer der Nachtwächter der Stadt. Richard telefoniert im Kreis herum, um uns zu helfen. Sooou nett.. Doch für heute sind alle im Feierabend, nichts zu machen.

Unterwegs testen wir das Instrument nochmals gründlich. Klappe für Klappe und vergleichen es mit meinem Sopransaxophon. Da entdeckt Stefan unter einer Schutzklappe versteckt zwei kleine Korkteile, die vom Instrumentenbauer eingekeilt wurden, um das Saxophon für den Transport zu schützen! Wau, die ganze Freude liegt wieder auf Stefan`s Seite und los geht`s.

 

Rothenburg ob der Tauber besuche ich immer wieder sehr gern. Nebst den Riegelbauten geniesse ich diesmal den grossen Park auf einem Vorsprung über der Tauber und morgens den Stadtrundgang auf der Ostseite der langen Stadtmauer. Stefan liebt das auch, aber auch die „Schneebälle“ in den Bäckereien.

 

Auf der Weiterfahrt nach Norden, durch die Wälder und Alleen, vorbei an den Rapsfeldern kommt es uns so vor, als sei die ganze Tierwelt, ausser der Vogelwelt,  ausgerottet. Kraniche gibt es zu dieser Jahreszeit nur einzelne Paare, die sich getraut haben, den Winter hier zu verbringen. Jetzt nisten und paaren sie sich. Nachts stellen wir das Womo neben ein Rapsfeld bei Lütte. Der Honigduft des Raps trieft gleichsam an uns herunter. Ein junges Reh stapft sich vorsichtig aus dem Feld und beginnt dicht an unserem Womo zu grasen. Später hüpft es mit so hohen Sprüngen davon, dass der ganze braune Körper über den gelben Rapsblüten auf- und abtaucht. Soou schööön.  

  

Bei Waren/Müritz lassen wir uns am Müritz See auf der Mecklenburgischen Seenplatte nieder. So platt ist die Seenplatte gar nicht. Das merken wir beim Velofahren durch die Wälder des Nationalparks. Stefan ist hochbeglückt erstmals einen Seeadler zu sichten.

Die DDR-Regierung hat weite Teile auf der Seenplatte entweder für militärische Zwecke eingezäunt oder ganz vernachlässigt. Nach der Wende von 1989 haben es Bürgerinitiativen geschafft, Parks und Nationalparks zu errichten. Sie erkannten den Naturwert dieser vernachlässigten Gebiete und schützen sie. Leider sei die Kraft der Bürgerinitiativen von damals heute erloschen, meint Felix, den ich in seinem Atelier in Polzow besuche.   

 

Während Stefan seinen Freund Stefan in Neubrandenburg besucht, radle ich vom Gatscheck Camp aus rund um den Tollense-See. Eine wunderschöne, hügelige Seenlandschaft mit kleinen Dörfern und Weilern am Rand.

 

Alt Rehse ist so ein Dorf. Alle Häuser mit Rietdächern bedeckt. Etwas zu sehr in Reih und Glied gebaut. Museal. Darum fahre ich ohne genauer hinzuschauen durch. Was ich im Nachhinein von Stefan Dober höre, lässt mich schaudern.

Dieses Dorf wurde mit zweiundzwanzig Fachwerkhäusern, Schulungsburgen und Lagerhäusern 1939 als „Führerschule für Deutsche Ärzte“ im Dritten Reich fertiggestellt. Hier wurden die „Ärzte“ ausgebildet für 1. Erbbiologie und Rassenhygiene, 2. Euthanasie, 3. Der Arzt als Führer und Erzieher des Deutschen Volkes. 4. Die Vorbereitung auf die systematische Lösung der Judenfrage. Bis 1943 fanden Lehrgänge statt.

 

Nicht genug. Auf dem zehn Kilometer langen Tollense See vor Neubrandenburg wurde mit Gefangenen eine künstliche Insel erbaut. Zweck: Hier wurden die Torpedos getestet, eine vernichtende Wunderwaffe der Planung, die in einem Desaster endete. Die nötige Treffsicherheit wurde nie erreicht. Einzelne Torpedos schossen sogar eigene Schiffe ab. Nach dem Krieg wurde diese Anlage gesprengt.

 

Greifswald liegt an der Pommerschen Bucht der Ostsee. Herrliche Fahrradtouren bieten sich an. Siebzig Kilometer sind es von meinem Camp nahe der Klosterruine Eldena nach Stralsund und zurück. Was ich auf der Karte nicht sehen kann: fast auf der ganzen Strecke rattere ich auf Kopfsteinpflaster. Mein physisches Gesäss leidet, mein psychisches Ich gewinnt an Achtung wegen der Ausdauer.  

 

Camper von Berlin offerieren mir geräucherten Hornfisch und frischen Fisch. Sie erzählen Geschichten aus ihren DDR-Jugendjahren hier in Greifswald. „Wenn der Raps blüht, kommen die Hornfische in die Bucht,“ wissen sie von ihren Vorfahren. Der Hornfisch ist langezogen wie ein Aal. Bis achtzig Zentimeter. Seine Schnauze ein spitzes Schwert. Das Fleisch weiss, seine Gräte grün! In Butter gebraten sehr bekömmlich. Die Camper schwärmen über ihre Freiheiten, die sie sich als Jungen der Bucht entlang genommen haben. Sie wurden auch mal wegen Fluchtgefahr abgeführt. Sie hatten an der Ostsee die Nacht im Stroh verbracht und weil sie fischen und schwimmen gingen, auch Flossen dabei gehabt. Erlebnisse, auf die sie belustigt zurückblicken. Die Natur rundherum ist wie auf der gesamten Mecklenburg-Vorpommerischen Seenplatte soooou schööön.  

 

Gletscher von Skandinavien und Finnland her haben diese norddeutschen und polnischen Seenplatten geformt. Von den tausend Seen sieht man vom Festland aus nur wenige, wohl aber aus der Luft.

 

In dieser nördlichen ehemals DDR Ecke machen sich die Jungen am Wochenende einen Spass daraus, mit den alten, kleinen, stinkenden Motorrädern in Gruppen herumzukurven und etwas Ältere mit ihren wohlgepflegten Trabis (Trabanten). Nostalgie hat sie erwischt.

Patrice und Luce ist es egal, wo wir hinfahren, Hauptsache die Sonne scheint. Patrice findet eine regenfreie Strecke während den Pfingsttagen. Wir fahren von Berlin-Köpenick ins benachbarte Polen. Breslau gefällt wegen des monumental freistehenden Rathauskomplexes und der schmucken Universitätsgebäude. Krakau übertrifft das alles mit herrschaftlichen Häuserzeilen und Plätzen zB um die Tuchhallen, die Marien- und andere Kirchen und dem Schloss Wawel, wo Könige Polens begraben liegen. Natürlich wird auch auf Papst Johannes Paul II., Karol Wojtyla, aufmerksam gemacht. Er hat hier gelebt und die Stadt zur Solidarnosc-Zeit von Rom aus mehrmals besucht. Papst Franziskus wird Krakau Ende Juli 2016 zum Weltjugendtag besuchen.

 

Wo kann man am Pfingstmontag, wo alle Läden in Deutschland geschlossen sind (im katholischen Polen sind sie geöffnet!) Eier auftreiben. Patrice geht in der Nähe von Cottbus in das erstbeste Restaurant an die Bar und bittet um drei Eier zum Mitnehmen. „Das ist uns noch nie passiert“, meinen die Wirtsleute. „Ich habe auch noch nie danach gefragt,“ antwortet Patrice. Sie verkaufen uns gleich zehn Eier, weil sie ohnehin in die Ferien fahren. Patrice zaubert danach eine wunderbare Sauce Carbonara. Nach tausenddreihundert Kilometern verabschieden sich Patrice und Luce nach vier gemeinsamen Pfingsttagen in Köpenick in der Hoffnung, nächstes Jahr wieder mitfahren zu dürfen.

 

Berlin als sehenswerte Stadt lasse ich diesmal links liegen. Besuche bei Freunden und ihren Familien in Köpenick und Schöneiche sind angesagt. Was freue ich mich, mit diesen Kindern zu spielen. Die sind so wissbegierig, aufgeweckt, quirlig, anständig und folgsam zugleich. Ein Kompliment an ihre ErzieherInnen.

 

Mein Schwager Sepp trübt diese Zeit mit einem erlittenen Herzinfarkt. Allein zu Hause rettet er sich, indem er nachts um drei selber den Notfallwagen ruft. Nach Untersuchungen in zwei Spitälern wird eine Operation in einem dritten Spital in Zürich nötig.

 

Die Familie Koloska in Köpenick wäscht mir die Bettwäsche für die nächsten Gäste. Ich bedanke mich mit einem Risotto alla Lorenzo und einer ausführlichen Vorführung des Womos. Das Entleeren des Kackekanisters, stösst bei den Kindern auf besonderes Interesse. Mit viel Glanz in ihren Augen fragen sie, ob sie auch einmal ein grosses Stück mitfahren dürfen. Ab liebsten zu den Bären in Kanada.

 

Heidi und Maricka entführe ich unter den Augen ihrer Männer und bringe sie von Berlin über St. Gallen, wo wir Silvia dazu laden, nach Brienz, an den Brienzersee in der Schweiz. Silvia komplettiert unseren Freundeskreis, der uns früher nach Rügen, Usedom, Amrum und in die Toscana geführt hat. Durch diese drei Frauen lerne ich ein Stück Schweiz besser kennen.

 

Noch einmal träufelt Regen und flockt Schnee über der Schweiz herab. Nicht gar so arg wie vorhergesagt. Wir kreuzen auf dem Brienzer- und Thunersee umher. Die kleinen Dörfer dicht an den Hängen zu den Seen sind stilvoll gewachsen. Sicher ein Verdienst der Baugenehmigungsbehörden.

 

Das Freilichtmuseum Ballenberg vermag mich zu begeistern. Die charakteristischen Gebäude aus Schweizer Gegenden sind in dem riesigen Gelände (vom Ost- zum Westtor geht man zwei Kilometer) eher versteckt aufgebaut. Wir wandern ein Stück auf Naturwegen, bis das nächste Gebäude auftaucht. Die Natur grünt und blüht. In den Häusern sind thematisch geordnet Gegenstände ausgestellt. Trotzdem wirkt alles auf mich nicht museal, sondern gibt mir ein Live-Gefühl. Hühner gackern um die Häuser, Schweine schreien an den Zitzen der Mutter, Kühe weiden. Heu wird eingebracht und riecht durch die Gegend. In der Kapelle am Osteingang lässt es sich leicht singen. Sooou schööön!  

 

Das Dampfross schnaubt bis Planalp am Brienzer Rothorn. Weiter hoch zahnt die Bahn noch nicht, weil da noch Schnee liegt. Imposant, wie sie sich durch die Höhenmeter beisst. Um aber den obersten Zipfel der Eiger-Nordwand zu sehen, müssen wir zu Fuss noch etwas weiter aufsteigen.

 

Ein übergrosses Postauto trägt uns auf die Axalp (1563m) hoch. Da gibt es den Schnitzlerweg. Nach mehreren Windwürfen liegen die Baumstämme kreuz und quer im Wald. Entlang einem Fussweg zum Axalpsee haben Schnitzer attraktive Figuren in Baumstumpfe geschnitzt.

 

Am 28. Mai bin ich Speaker und noch mehr am Hochzeitsfest von Seline und Adrian in Vilters. Ein heiteres, fröhliches Fest im Postbungert. Bungert nennen wir eine grosse obstbaumbesetzte Wiese hinter einem Haus.

 

Die drei Freundinnen Silvia, Heidi und Maricka wandern, während dem ich mit dem Hochzeitsfest beschäftigt bin, nach Bad Ragaz. Unterwegs versperren Kuhherden den Wanderweg. Auf Umwegen gelangen sie nach St. Leonhard, bewundern die Gärten und Blumen vor den Häusern. Die Besitzer, Otto und Margrith, wird auf die Staunenden aufmerksam und laden sie gleich ins Haus ein. Gestern sei Tag der Nachbarschaft gewesen, aber sie würden diesen Tag mal öfter feiern. Nach üppiger Bewirtung und Rundgang im Haus, bringt er sie mit seinem Auto auf dem Umweg über die Bündner Herrschaft wieder zurück nach Bad Ragaz. Begeistert über so viel Gastfreundschaft erzählen meine Freundinnen am Abend ihre Story, während wir erneut die Gastfreundschaft von Martina und Marco geniessen. Margrit, meine dreiundachtzigjährige Schwester nimmt bis spätnachts an der Runde teil, obwohl sie den Tag bei ihrer Tochter in Walenstadt verbracht hat. Sooou schööön!

 

Nach einer happigen Herzoperation weilt mein Schwager Sepp noch im Unispital Zürich. Erholung braucht viel Zeit. Allerdings trifft er vom Spitalbett aus bereits Anweisungen zum Rasenmähen und Jäten in seinem blühenden Garten in Vilters. 

 

 

 

 

JUNI 2016

 

Seit zwei Tagen habe ich nichts gegessen. Ich schlendere am sonnigen Mittag durch die Innenstadt St. Gallen. Menschen sitzen auf den Bänken herum und knabbern an krustigen Sandwiches. Mir zieht es das Wasser im Mund zusammen. Aber erst muss ich zwecks Darmspiegelung noch zwei Liter vanillefades Wasser schlürfen.  Der Höhlenforscher, für dessen Expedition ich sechshundertdreiunddreissig Franken auslege, zeigt mir Fotos und meint: „Sie haben einen schönen Darm“. Das meine ich auch. Ein Wunderwerk bloss für die Ausscheidung. Das muss man mal gesehen haben. Der Arzt gibt mir zwanzig Jahre Garantie auf dieses Teil! Gesund. Sooou schöön!

 

In der Klosterkirche Einsiedeln treffe ich mit Rösli, Theres und Hans auf eine Eucharistiefeier der Benediktiner-Patres zum Herz Jesu Fest. Der junge Abt Urban knetet nicht auf dem Wort „Herz“ herum, sondern nennt das Thema schlicht: „Chefsache“. Der Chef selber nimmt sich der Menschen an. „Ich werde euch führen,.. ich werde euch zurück bringen,.. ich werde euch nähren,.. ich werde euch beschützen,“ sagt Jesus. Nach meiner Erfahrung tut er es.

 

Robert Peroni habe ich auf einem Grönlandtreck im Jahre 2008 kennengelernt und in seinem „Roten Haus“ gewohnt. Peroni war ein Extrembergsteiger und hat Expeditionen durch Wüsten und Eis unternommen. Gewaltig. Mit Vierzig ist er bei den Inuit in Grönland hängen geblieben. Im Buch „Kälte, Wind und Freiheit“ beschreibt er, wie die Inuit ihn den Sinn des Lebens lehrten. Er hat das Überleben der Inuit in der rauen Natur kennengelernt, das Schamanentum, das stille Wissen der erfahrenen Jäger und Hundeschlittenführer. Wo immer möglich hat er sich für das ursprüngliche Leben der Inuit gewehrt. Das Diktat der Besetzer von Dänemark, die fehlgeleiteten staatlichen Hilfen, die Christianisierung, die Kriegsbeobachtungsbasen der USA  in Grönland, die Ölförderung, Greenpeace mit ihren reisserischen Kampagnen zu einseitigen Gunsten der Tierwelt gegen die Naturvölker, das Besserwissen der Zivilisierten, der aufgezwängte Wohlstand durch Beton- und Plattenbauten, all das hat das Volk in seiner ursprünglichen Lebensweise, in seiner Seele vernichtet. Robert Peroni ist bei den Inuit an einer Blutkrankheit verstorben. Seine Erfahrungen bleiben uns in diesem Buch erhalten. Ein beschämendes Zeugnis über den Untergang eines Volkes, hervorgerufen durch das Eindringen der Zivilisation von aussen. Aber auch ein Vermächtnis über die Lebenskunst und -weisheit der Inuit im Grönland von gestern.  

 

Nebel schleicht jeweils am Abend über den Gotthardpass (2091m), wo ich mit Hans Tagestouren unternehme. Die vielen Schneefelder und Grasnarben über die wir auf- und absteigen, erwecken in uns ein Grönlandfeeling. Murmeltiere pfeifen und jagen über Schneefelder davon in ihre Höhlen. In Passnähe jedoch scheinen sie uns ohne die üblichen Warnpfiffe kaum wahrzunehmen. Steinböcke nehmen unseren Besuch gelassen. Der wachehabende Bock folgt uns bei unserem Abgang allerdings ein Stück weit über die Kuppe. Er will sicher sein, dass wir seine Grossfamilie in Ruhe lassen und keine fintenreiche Umgehung planen. So klug, so erfahren die Viecher.

 

Abends hocken wir auf dem Gotthardpass gern im geheizten Womo. In dieser flechtengrün felsigen, schneeweiss grassbraun scheckigen Gegend wirkt der Film „Weisser Horizont“ über Robert Peronis letzte Fahrt in Grönland auf mich besonders verbindend. Sein Traum, noch einmal die Weite des Grönlandeises im Innern des Landes zu schauen, haben ihm seine Freunde aus der Schweiz ermöglicht und gefilmt. Nichts als weisser Horizont. Keine Berge, kein Meer, nur eine weisse, unberührte Fläche!    

 

Nur Berge, Berge, Berge soweit wir blicken können. Hans und ich sind dazu an dem einzigen wolkenlosen Sonnentag dieser Woche mit den Skiern vom Gotthardpass zur La Fibbia hochgestiegen. Eine herrliche Weitsicht. Eine schwungvolle Abfahrt im gleichmässig tragenden Sulzschnee. Sooou schööön!

 

Das neue Hotel Restaurant auf der Schwägalp ist modern, zweckmässig gebaut. Es tritt bescheiden beiseite und macht der Steilwand zum Säntis keine Konkurrenz.

 

Gruppe S (für Solidarität) nennen wir unsere Kollegengruppe seit vierzig Jahren. Wir haben diese Gruppe in jungen Jahren gegründet, um uns innerhalb der Strömungen und ideologischen Zerreissproben in der Kirche zu solidarisieren und positionieren, einander persönlich und in unseren Aufgaben zu fördern und notfalls beizustehen. Der damalige Regens, Bernhard Gemperli, der im Juli seinen achtzigsten Geburtstag feiern wird, hat uns darin sehr unterstürzt. Beim Austausch im Fernblick, Teufen fühlen wir uns immer noch sehr verstanden und getragen von all dem, was wir uns über lange Jahre hinweg schenken konnten. Die Kollegen der Gruppe S und unser Leiter, Ralph Dantscher, haben wesentlich dazu beigetragen, mich zu entfalten und mich als Seelsorger und Priester zu bewähren. Als spirituelle Quelle hat mich die ökumenische Klostergemeinschaft von Taizé FR reich beschenkt. Beides: sooou wichtig und soou schöön!

 

Das Womo leidet passaufwärts. „Öldruck ungenügend, anhalten, Motor abstellen“ steht geschrieben. Mach ich nicht. Fahre doch kein Pannenfahrzeug. Aber vor dem nächsten Bergprojekt will ich das in St. Gallen beheben lassen. Drei Stunden lang wird nach dem Fehler gesucht. Mit zwei Probefahrten heize ich dem Ding richtig ein. Wahrscheinlich ist es bloss ein lockerer Stecker, der die Elektronik verwirrt.

 

Testen wir mal den IVECO-Motor in meinem Carthago.

 

Nach Regentagen reisst der Himmel in Vilters auf. Hans steigt zu und ab geht es über den Flüelapass nach Susch, Zernez, Ofenpass, ins Val Müstair, durch den Vintschagau, nach Meran, Bozen, und nördlich bis Waidbruck, durch das Grödnertal hoch bis auf das Sella Joch im Val Gardena. Ohne Stottern hält das Gefährt durch!  

 

Auch Hans und ich halten durch auf der vierstündigen, bzw sechsstündigen Tour durch das Langkofeltobel hinauf, das Langkofelkar hinunter und um den östlichen Langkofelblock zurück bis zum Womo auf dem Sella Joch.

 

Auf dem Pordoi-Pass (2242m)nehmen wir die imposante Schwebebahn hoch zum Sasso Pordoi (2952m). Alter, neuer Schnee liegt all überall. Wir steigen hoch zum Piz Boé (3152m). Den Abstieg im knietiefen Schnee nehmen wir in Richtung Boé-Hütte und zurück zum Sasso Pordoi. Die Füsse baden im eisigen Schneewasser in den Schuhen. Auf dem Pordoi Pass ist das Campen nicht erlaubt. Zu mondän. Also gleich weiter…

 

Nach Arabba steht beim Abzweiger zum Falzarego Pass (2105m) eine Verbotstafel: Nicht höher wie 3.20m. Mein Gefährt misst aber 3.35m. Was gucken wir dumm! Vor fünf Jahren sind wir doch auch durchgekommen. Was denn jetzt? Ein Einheimischer, den ich schliesslich stoppe, meint: passa, passa, was etwa heisst: Passt schon! Tatsächlich schlüpft das Womo in einem niedrigen Kurventunnel ohne Kratzer durch.

 

Weil es Hans ohne Infrastruktur und ohne Menschen weitherum besser gefällt, zweigen wir vom Falzarego Pass noch kurz hoch auf den Valparola Pass (2191m) und campen frei. Sooou schööön!

 

Der kriegsgräbenzerwühlte Hexenstein, Sasso di Stria (2477m) ist nach zwei Stunden Aufstieg erreicht. Auf dem Abstieg erkundet Hans ausgiebig die Stollen und Wehrgänge, die er aus der Literatur und vielen Begehungen in den Dolomiten kennt.

 

Vom Lagazuoi (2778m) geniessen wir eine herrliche Aussicht auf weitere Dolomitengebilde. Mit genügend Abstand, um sich - ihrer Würde bewusst - frei zu präsentieren, stehen diese trutzigen Felsen einander gegenüber. Erstaunlich, die mächtigen Geröllschürzen unterhalb der Felswände. Also bröckelt der griffige Dolomit doch sehr stark. Die Weiden in den Tälern sind unbeschnitten voller Blumen und kräftiger Gräser. Sooou schööön!

 

Eine „gefüllte Erbsenbahn“ (Zweier-Stehbahn) führt nahe dem Tre Croci Pass auf 3000m in eine enge Felsscharte am Monte Cristallo. Die Sicht auf beide Seiten ist durch das Felsmassiv eingeschränkt. Auch für den Skisport vermag mich diese enge Scharte und die planierte Piste nicht zu begeistern.    

 

In Misurina wartet ein Jeep, um uns auf den Monte Piana zu fahren. Hier liegen die Schützengräben der Italiener und Österreicher aus dem ersten Weltkrieg offen auf den Kuppen als Freilichtmuseum, himmelschreiend offen. Für mich ein Museum für Unsinnigkeit, Vermessenheit und menschenverachtender Kriegsführung. Mein Schwager bewundert die damaligen strategischen und technischen Leistungen unter widerlichsten Umständen.

 

Vor fünf Jahren habe ich im August meine Womo-Reisen mit Theres und Hans in den Dolomiten begonnen. Nun habe ich Ende Juni neue Formationen kennengelernt und teils bestiegen. Soou schööön!

 

 

2106 JULI

 

Mit einer vorläufig letzten Predigt nimmt Matthias Angehrn Abschied als Pfarreibeauftragter in St. Fiden. Er lädt mich zur Zelebration ein. Wir fühlen uns sehr wohl bei so vielen Bekannten und Vertrauten.

 

Meine Schwägerin Betty und mein Brud

er Paul von Vilters sind bisher eher skeptisch gegenüber einer Fahrt im Wohnmobil. Fünf Jahre lang studieren sie schon meine Berichte. Jetzt aber steigen sie ein, koste es, was es wolle, zum Beispiel Schlaf und Nerven.  

 

Es geht zünftig los. Der Oberalppass (2044m) ist ja noch gut zu bewältigen. Der Gotthardpass (2091m, C=Camp) auch. Zwei Pferdegespanne mit alten Postkutschen traben die Passstrecke hoch. Das Womo trabt vorweg und bietet uns auf der Passhöhe eine sichere Nacht. Dies Mal reiht es sich mit fünfzehn anderen Campern zwischen den kleinen Seen ein und trotzt dem kalten Wind.

 

Den Gotthardpass runter bis Airolo (1141m) gibt es vor allem am Anfang eine tolle Sicht auf die alte kurvenreiche Tremola. Im Bedrettotal klettert das Womo wie die vielen Motorräder hoch auf den Nufenenpass (2478m). Auf der Walliserseite windet sich die Passstrasse nasengäch ins Tal. Imposant! Während meine Schwägerin mutig auf die engen Kurven hinunterblickt, bleibt mein Bruder auf der Hangseite sitzen und hofft und hofft. Ich finde die Passfahrt sooou schööön!

 

Das Wallis von Ulrichen (1346m) im Obergoms bis hinunter nach Martigny (1411m)  bietet meinen mitfahrenden Gästen Entspannung. Dann aber beginnt das Steigen wieder und das Hochkraxeln bis auf den Grossen Sankt Bernhard (2469 m). Bei diesem schönen Wetter kommen sehr viele Schweizer und Italiener auf die Idee, das Kloster auf der Passhöhe zu besuchen, oder doch wenigstens die sabbernden Bernhardiner Hunde.

Das Hospiz wurde um 1050 von Bernard de Menthon am Lac d`Annecy FR, der nach Aosta geflohen war, für Säumer und Pilger gegründet und der spirituelle Teil bis heute von seiner Kongregation geleitet.

 

Die Parkplätze lassen bei diesem Verkehrsaufkommen keine Übergrössen zu. Paul möchte diese magennervenstrapazierenden Passfahrten hinter sich bringen. Er schlägt vor, gleich auf der italienischen Seite ins Aostatal (583m, C) ab zu schlitteln.

 

Bei der Abfahrt und unten im Tal fallen uns die vielen französischen Namen von Ortschaften auf. Seit dem 11. Jahrhundert gehörte das Aostatal zum Herrschaftsgebiet des Hauses Savoyen und war daher französisch- und frankoprovenzalischsprachig. Ein Patois.

 

1861 wurde das Aostatal als Teil des Italienischen Königreiches und der Provinz Turin zugeschlagen. Während des Faschismus wurde die Italienisierung massiv vorangetrieben. Französisch wurde verboten und eine massive Immigration von Italienern gefördert. Trotzdem blieben die französischen Namen. Nicht so im Südtirol, wo alle deutschen Namen dämlich italienisiert worden sind. 1927 wurde das Aostatal von Turin getrennt und zur Provinz erklärt. Während des 2. Weltkrieges war das Aostatal eines der wichtigsten Zentren des italienischen Widerstandes und wurde dafür mit der goldenen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet.  

 

So endet unser eintägiges Passrennen vom Gotthardpass runter, den Nufenenpass rauf und runter, das Wallis runter, den Grossen St. Bernhard rauf und runter in Aosta. Sowas machen sonst nur Motorradfahrer. Von denen begegnen uns hunderte.

 

Ein Stern auf der Landkarte lockt nach Biella. Die Strassen der Innenstadt werden immer enger ohne Parkmöglichkeit für das Womo. Die Magennerven meines Bruders spannen sich in solchen Situationen bis zur Schmerzgrenze. Wir lassen diesen Besuch und suchen aus der Enge heraus.

 

In Varallo (C) haben wir mehr Glück. Beim Nachfragen an einer Tankstelle im Osten der Stadt bietet uns der Tankwart an, auf seinem grossen Platz stehen zu bleiben. Pfadfinder kommen vorbei, um wegen des einwöchigen Stadt- und  Ausstellungsfestes sieben Euro für das Vehikel zu kassieren. Nach einem Gewitter öffnen die Buden und Kneipen um sieben Uhr abends. Polenta mit Würstchen, Penne mit Käse. Auf  der grossen Hauptbühne spielen neun Gitarristen und Schlagzeuger spanische Volksmusik. An einem italienischen Volksfest! Das kommt mir wirklich Spanisch vor. Aber die Musiker sind Gäste und spielen hervorragend.

 

Über der Stadt Varallo erhebt sich der Sacro Monte di Varallo. In fünfundvierzig teils alleinstehenden, teils in grossen Gebäuden integrierten Kapellen haben verschiedene Künstler im 17. Jahrhundert biblische Themen mit lebensgrossen Skulpturen und Gemälden im Hintergrund dargestellt. Das Abschlachten der unschuldigen Kinder nach der Geburt Jesu und sein Leidensweg werden besonders leiderweckend ausgeweitet. Eine Auferstehungsdarstellung kann ich nicht finden. Die typische Sichtweise der damaligen Zeit. Das Opfer, das Leiden Jesu „für uns und unsere Sünden“ wird dramatisch dargestellt. In der Pilgerkirche findet Maria ihre Aufnahme in den Himmel. Ihr ist diese Kirche geweiht.  

 

Entlang dem Orto-See und dem Lago Magiore gibt es keine Möglichkeit, einen Parkplatz zu finden, nicht für mein Womo. Die Strassenbreite ist fast durchgehend sehr knapp bemessen. So verschiebt sich das Mittagessen durch die Suche nach  einer Parkmöglichkeit bis auf drei Uhr nachmittags.

 

Der San Bernhardino (1608m) bietet pure Erholung gegenüber den vorherigen Passfahrten. Insgesamt fahren wir sechstausend Meter rauf und sechstausend Meter runter. Ob mein Bruder diese Pässe je nochmals mit dem Womo abfahren will, ist nicht geklärt. Erst ist Erholung in Vilters angesagt.

 

Die „Amerikaner“, meine Gastgeber in Reno, verbringen Ferien in der Schweiz. Sie kommen vom Gonzen auf die  Alp Palfries („Gonzen“ heisst die Autonummer von Gerda in Kalifornien, wo man den  Namen der Nummer selber wählen kann. Eine weitere Nummer heisst „Edelweiss“). Gerda und Bruno wollen weiter auf den Alvier (2446m). Im Handumdrehen sind wir oben und geniessen die herrliche Rundsicht. Auch beim steilen Abstieg staune ich über Gerda. Sie hat in Kalifornien nichts von ihrer Bergtüchtigkeit eingebüsst.

 

Benno (5) und Karl (8) stapfen mit Leichtigkeit auf den Gonzen, die Steile Wand über Sargans von hinten. Sie leben in Panschwitz-Kuckau (vgl Osterreiten der Sorben). Berge zu erleben ist das Ziel ihrer Eltern und die Kinder machen mit. Der Gonzen und die Alp Palfries sind schon mal ein herrlicher Auftakt.

 

Das enge Tal von Mels öffnet sich in Weisstannen und macht vielen Viehalpen Platz. Die Alpwirte auf Untersiez und Walabütz bewirten mit einfachen Produkten.

 

Von der Scheubser Hinteralp fliegt der Scheubsbach förmlich über die "Isengrind"-Wand ins Walabütz. Mit 230 Metern ist er der dritthöchste Wasserfall in der Schweiz.

 

Dank einem Kinderaustausch bleibt die Schule im Weisstannental geöffnet. Melser Kinder werden nach Weisstannen gekarrt, um die Klassenzimmer aufzufüllen und wenige Kinder von Weisstannen nach Mels.

 

Das Museum für altes Brauchtum ist in der alten Post von Weisstannen mit einer Diashow auf dem Dachboden und mit spielerischen Elementen in einzelnen Zimmern für Familien attraktiv hergerichtet.

 

Unsere Cousine Rösli findet diesen Ausflug ins Weisstannental wie Betty und Paul und ich, sooou schööön!  

 

Mein Studienfreund, Martin, lädt mich zu seinem und meinem baldigen Geburtstag zum Konzert des Saxophon Quartett Melisma nach Frauenfeld ein. SupersaxophonsolistInnen spielen auf Sopran-, Alt-, Tenor-, und Baritoninstrumenten virtuos klassische Werke. Sooou schööön!

 

Theres und Hans können sehr kurzfristige Entscheidungen treffen. So an diesem Mittag. „Ich füttere die Tiere unserer Enkelkinder und du fährst mit Hans los, Passfahrten machen,“ sagt Theres. Und so geht es:

 

Vilters-Rotkreuz (C)  -Brünig-Grimselpass (C). Per Mountainbike zum Trübtensee (Triebtensee) und bis zum Ende der Alp auf Bäregg. Ein herrlicher Blick über den Aargletscher. Lieblichste Alpenblumen schmücken die Wiesen. Sooou schööön!

 

Dank einer kühlen Nacht auf dem Grimselpass schlafen wir tief durch. Anderntags kurven wir vom Grimsel runter nach Gletsch und hoch auf den Furkapass (C). Eine Wanderung führt uns zur Tällilücke und auf den Vorgipfel zum Tällistock. Herrliche Sicht auf den Rhonegletscher. Bis das kurze Abendgewitter loslässt (andernorts in der Schweiz soll es verheerende Gewitter geben), sind wir in den Liegestühlen schon längst ausgeruht und im schützenden Womo.

 

Vom Furka rollen wir anderntags wieder runter nach Gletsch und Ulrichen. Unversehens schwenkt das Womo zum Nufenenpass (C) ein. Am kleinen See auf der Passhöhe gefällt uns das wilde Campen. Gemütlich wandern wir zum Gries Stausee und diesem entlang zum Griespass.   

 

Auf dem Griespass überrascht mich eine „Kapelle zum Schlafen“. Von aussen sieht das Giebelhäuschen mit Kreuz wie eine Kapelle aus. Im Innern kann man notfalls schlafen. Eine tolle, zweckvolle Idee. Die „Schlafkapelle“ wurde zur Erinnerung an drei 23jährige italienische Pfadfinder errichtet. Sie sind am 28. Dezember 1953 auf dem Griespass in einem Schneesturm schutzlos erfroren. Dieser drei Jungen wollen wir gedenken und solch ein Drama soll sich hier nicht wiederholen, meinen die Stifter. Darum bauten sie diese doppelt nutzbare (beten und schlafen) Kapelle.

 

Bei dieser Kapelle ruhen wir uns aus. Plötzlich befällt uns die Lust, auf das Bettelmatthorn (3073m) aufzusteigen. Leuchtende Alpenblumen im kargen Gestein! Nach zwei gemächlichen Stunden stehen wir oben. Was für eine Rundsicht auf dem Gipfel!

Nach sieben Stunden zurück auf dem Nufenenpass sind wir sehr glückliche und zufriedene Menschen. Hans darf besonders stolz sein. Diese Leistung erbringt er mit achtundsiebzig Jahren! Alles zusammen einfach: Sooou schööön!      

 

Wir wollen den Nufenenpass anderntags nicht verlassen, bevor wir nicht zum Kirchhorn aufgestiegen sind. Der Abstieg über Schneefelder schont unsere Knochen deutlich, macht aber nicht weniger müde.

 

Am Nachmittag fahren wir vom Nufenenpass runter, den Grimselpass hoch und runter zum Brünigpass. Nach einer Stunde im Stau wegen eines Motorradunfalls nimmt Theres Hans in Rotkreuz in die Arme und ich fahre weiter nach Vilters auf meinen Standplatz bei Marco und Martina.   

 

Während den Pass- und Berg-Tagen beschäftige ich Hans mit Tunnelbohren… in meinem linken Gehörgang. Olivenöl, Kirsch und Papierrollen reichen mitsamt Wasserdruckspülung nicht aus, den Gehörgang gehörig zu öffnen. Jetzt ist auch noch meine Nase wegen Sonnenbrand im Gebirge gewaltig angeschwollen. Ich werde demnächst wohl einen Arzt aufsuchen.

 

Tobias und Nadine halten eine Überraschung für mich bereit. Nadine bleibt in Abtwil zurück, um ihre drei Kinder zu hüten. Sie überlässt mir ihr Ticket. Tobias fährt mich zum Bruce Springsteen Konzert im Letzigrund Stadion in Zürich.

 

Bruce gibt sich total natürlich. Das gefällt mir an diesem Kerl. Kraftvoll beginnt der siebenundsechzig Jährige fit und gut Aussehende sein Konzert. Ebenso fortgeschrittenen Alters sind seine Gitarristen, der Schlagzeuger und die Geigerin. Nur der exzellente Saxophonist ist reichlich jünger. Während dreieinhalb Stunden verlassen die Künstler die Bühne nicht. Sie packen mich und tausende Besucher mit einer unglaublichen Energie. Dreieinhalb Stunden Schwerarbeit ohne Verschnaufpause! Die Songs von Anfang bis Schluss intensiv und krachend. Die gequetschte, kreischende Stimme von Bruce trägt bis zum Schluss. Einfach unglaublich, was diese Jungs drauf haben. Sooou schööön!

 

Bemerkenswert finde ich die Lebensgeschichte von Bruce Springsteen (am 23.Sept. 1949 in New Branch, New Jersey geboren), diesem Powermenschen. Mit zehn Jahren bekam Bruce eine Gitarre. Sein Vater jobbte in verschiedenen Arbeiten, trank abends frustriert am Küchentisch. Seinen Kindern gegenüber war der Vater von emotionaler Trockenheit. Seine Mutter brachte etwas Wärme ins Haus und an den Tisch, der selten ausreichend gedeckt war.

 

„Zwei Dinge im Haus waren unbeliebt“, sagt Bruce aus seiner Jugenderinnerung, „das Erste war ich und das Zweite meine Gitarre“….„Ich hatte viele Pläne, doch ich war immer derjenige, der draußen stand und sehnsüchtig nach drinnen blickte. Ich habe mich schon sehr früh einsam gefühlt. Alle in der Familie meines Vaters waren Außenseiter.“

 

Er hat sich aber seinem inneren Ruf folgend über Jahre hinweg mit viel Gitarrespielen und Auftritten in kleinen Lokalen durchgesetzt. Sehr lange war dieser wirtschaftlich entbehrungsreiche  Weg, bis Bruce das Glück hatte, entdeckt und der Öffentlichkeit vorgestellt zu werden. (so richtig ging es mit seinem 3. Album 1975 los). Oft schildert Bruce in seinen Songs das Leben kleiner Leute in seiner Kargheit, Isolation und Hoffnung auf ein anderes Leben.

 

Ein harter Kämpfer und Arbeiter, wie es seine harte, schreiende Rockmusik ausdrückt, ist er geblieben. Ganz er selbst und immer noch ganz obenauf. Sooou schööön!   

 

AUGUST 2016

 

Viele Tiere habe ich in der Wildnis gesehen. Eigentlich möchte ich sie nicht mehr in einem Zoo begaffen. Aber im Walter Zoo  in Gossau sind nebst tierischen gleich mehrere menschliche Begegnungen möglich. Erstens fahren Marco und Martina mich dorthin und zweitens treffe ich Patrice mit Luce aus Berlin und Grosi Silvia mit den beiden Töchtern Joline und Shana von Dominic.

 

Der Zoo ist kinderfreundlich aufgebaut. Man kann ihn in kindergerechter Zeit durchwandern. Die Vielfalt und Anzahl der Tiere ist bewusst beschränkt. Es gibt relativ grosse Gehege.

 

Und trotzdem: Nachhaltig bleibt mir der traurige Blick der Affen, ihre müden, lustlosen Bewegungen. An den starr verschraubten Kletterbäumen biegt und wiegt sich gar nichts unter dem Gewicht eines Affen, ausser einer einzigen, an Ketten aufgehängten Schaukel, die nicht benutzt wird. Die meisten Menschenkinder hängen auf Spielplätzen in fantasievolleren, beweglicheren Klettergeräten, als was hier den Affenkindern, diesen Kletterkünstlern von Natur aus, zugemutet wird. Noch bevor ein Affe Hunger verspürt, wird über die für sie unüberwindbare, dazu noch mit Elektrodraht gesicherte Brüstung Futter gerecht verteilt. Es entsteht kein Gerangel um Nahrung. Warum auch? Weiss doch jeder Affe, dass sich dieser Futtersegen tagtäglich mehrmals ereignet. Die Bitte im Gebet „Unser tägliches Brot gib uns heute“ ist für Menschenaffen und Affenmenschen nur eine überflüssige Floskel. Affe geht einfach hin, weil ohne diese Action die Langeweile noch langweiliger wäre. Der traurige Affenblick und sein lustloses Dahocken verfinstern mein Gemüt.

 

Der Vertrauensarzt des Strassenverkehrsamtes im Kanton Zug betont: Sie behalten den Führerschein ohne jegliche Auflage! Mit Ihren Konditionen dürfen Sie getrost damit rechnen, Ihr Wohnmobil während den nächsten fünf Jahren zu fahren. Sooou schööön!  

  

Hast du die Tränen des hl. Laurentius (10. August) gesehen? Spät lege ich mich zum Schlafen hin. Beim Einschlafen erinnere ich mich an die Erinnerung von Marco, in dieser Nacht seien besonders viele Sternschnuppen zu sehen. Stimmt. Astronomen nennen sie Perseiden. Fromme Menschen nennen sie Tränen des Laurentius, der in Rom auf einem Feuerrost gemartert wurde. Zu Ehren meines Namenspatrons verlasse ich kurz vor ein Uhr nochmals mein Lager, ziehe mich warm an und suche Dunkelheit in den nahe gelegenen Feldern um Vilters. Mit dem Kopf im Nacken, den Blick zur Milchstrasse gerichtet, sehe ich in einer halben Stunde fünf Sternschnuppen. Was ich mir dabei denke? Dass du das hier lesen wirst! Also denke ich in diesem stillen Nachtereignis an dich. Sooou schööön!

 

Vermol dient mir immer wieder als Startort für Skitouren auf den Hüenerchopf. Jetzt aber mähen die Bauern die satten Wiesen. Rösli freut sich mit neunzig Jahren wieder einmal an dieser Gegend voller Kindheitserinnerungen. Um den Chapfensee entfaltet sich an diesem sonnigen Tag viel Familienleben. Der Chapfensee ist ein Stausee, 1947/48 gebaut.

Bei Vättis verzweigen sich die Strassen. Entweder geht’s über den Kunkelspass nach Tamins, oder vom Tamina- ins Calfeisental. Zuhinterst am Stausee von Gigerwald (Bogenmauer 1976 erbaut) liegt die hübsche Walsersiedlung mit dem Chirchli (von anno 1380) St. Martin. Die letzten Walser haben St. Martin im Jahre 1652 verlassen.

 

Nadine und Roger werden auf dem Zivilstandesamt in St. Gallen verheiratet. Im Wartezimmer sollen wir stille sein, nur flüstern, damit die Trauung, die vor uns in Gange ist, nicht gestört wird. Was für eine normalitätbedrückende Auflage! Was für eine verstimmte Stimmung! Flüsternd und auf leisen Sohlen in den Hafen des Glücks! Das Prozedere mit den weitreichend rechtlichen Folgen dauert wenige Minuten. Das Brautpaar muss nicht erklären, was es unter Trauung versteht und ob es alle Konsequenzen, das Kleingedruckte kennt, es muss nur Ja sagen und unterschreiben. Wie bei einer Fischreuse. Die Fische müssen nicht wissen, worum es geht, sie müssen nur rein und nicht mehr raus. Damit wir nicht allzu schnell schon wieder auf der Strasse stehen, liest der Beamte eine kleine Geschichte. Den Inhalt kann ich nicht wiedergeben. Ich frage mich nämlich dauernd, was soll das? War`s das?

 

Das war`s noch nicht. Nadine und Roger gestalten mit uns einen Schiffsausflug von Rorschach ans andere Ufer. Landen an ein paar „Häfen des Glücks“ und entscheiden sich dann doch für den Schweizer Hafen, wo die Reise seinen Anfang nahm. Bei Sonnenuntergang freuen wir uns über die wunderschöne Aussicht auf den Bodensee und über ein launig-rustikal serviertes Essen im Restaurant Treichli. Sooou schöön!

 

Fünf Jahre sind es her, seit ich am 1. August 2011 von Ziteil aus mit einem letzten Abschiedsgottesdienst in meine Womo-Wohnung und das Womo-Reisen gestartet bin. Bisher war ich nach 165000km in keine Unfälle verwickelt. Die Mängel und Verschleissteile am Womo lassen sich immer wieder reparieren. So wie das Knie an mir. Körperlich bin ich gesund. Seelisch überglücklich. Freundschaftlich vielfältig getragen. Durch die Reiseberichte mit unzähligen Menschen monatlich frisch und dauerhaft verbunden. Alles Gründe, meinen Dank an meinem 70. Geburtstag, am Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, dem 15. August in der Wallfahrtskirche von Ziteil mit hundert mir sehr verbundenen Menschen zu feiern. Es sind Kinder dabei, aber auch über achtzig jährige Freunde. Zeit für jedes von uns, sich seine eigenen Gedanken zu machen,  mit den Daheimgebliebenen verbunden sein, Dank und Bitten erwägen. Eine tiefe Begegnung im Gottesdienst, wo die St. Galler und andere Gäste auf ihre gewohnte Weise mehrstimmig kräftig singen.  „Mir lief es kalt über den Rücken beim Singen und Beten“, beschreiben mir einige ihre Emotionen nach dem Gottesdienst. Gott sei Dank! Sooou schööön!   

 

Einen Tag vor meinem 70. Geburtstag hat sich aus heiterem Himmel eine Reiseidee für 2017 in mir angekündigt. Stundenlang bin ich mit ersten Klärungen beschäftigt. Nach einer Woche bereits geklärt, entschieden und angemeldet. Ein Riesending! Start im Mai 2017. Nur so viel will ich hier historisch festhalten, um den laufenden Reiseberichten nicht vorzugreifen.

 

Ein Riesenfeuerwerk an Festfreude entwickelt sich im Torkel bei Obrecht Weine zu meinem Geburtstagsfest am 20. August in Jenins. Eigentlich ist es das traditionelle „Berglifest“, das wir mit der grossen Verwandtschaft jährlich feiern. Während meiner Berufszeit konnte ich jeweils erst verspätet zu der Gesellschaft gelangen, die sich im „Bergli“ zum Grillen versammelt hatte. Zeit, dass ich meinen Verwandten einmal ein Zeichen meiner Verbundenheit und Wertschätzung gebe. Da ich bis zu meinem 70. Geburtstag damit gewartet habe, sprenge ich den Rahmen und lade auch Freundinnen und Freunde ein, die sich meist vom Hörensagen kennen. Der Saal ist mit hundert Gästen dicht angefüllt und setzt mir Grenzen für weitere Einladungen. Die Metzgers von Maienfeld, Irene und Hansjakob Möhr-Iseli, die zur Verwandtschaft zählen, verwöhnen uns mit feinem Braten und Zutaten. Der Wein von Jürg und Ladina Obrecht schmeckt hervorragend. Wir geniessen die Gespräche in heiterer, freundschaftlicher Atmosphäre. So viel gegenseitige Aufmerksamkeit und Zuneigung auf einem Haufen! Zum Fest wird sowas nur, wenn die Gäste sich einladen lassen. Und das Schöne dabei, alle bringen sich selber mit. Ich schwelge in feinen Gefühlen des Erlebten und in Dankbarkeit. Glücklich darüber, dass auch meine Verwandten und Gäste ein Stück Festfreude mit nach Hause nehmen. Sooou schööön!

 

Daniel steigt als Sicherheitsbeauftragter mit Heidi und mir auf die oberste, alleroberste Kirchturmspitze von St. Maria Neudorf in St. Gallen. Man möchte meinen, der Verpackungskünstler Cristo habe die Kirche eingehüllt. Die Spengler und Dachdecker haben unter der Verdeckung bereits eine Riesenarbeit geleistet. Im Dezember wollen sie fertig sein. Die Innenrenovation vor zehn Jahren finde ich äusserst gelungen. Die Aussenrenovation wird es nicht weniger sein.

 

Betty und Denise schleppen mich in einer dreistündigen Wanderung zum Kunkelspass und zur Ringelspitz SAC Hütte hoch. Ich laufe in ein Hungerloch, da ich bei der Hitze sogar den Apfel in meinem Rucksack zu essen vergesse! Das Mittagessen auf der SAC und die lange Rast wecken wieder alle meine Geister.

 

Denise stellt angesichts weidender Kühe die Frage, die ich mir ein Leben lang nie gestellt habe und darum auch nicht beantworten kann: Haben Kühe Zähne? Weisst du das? Betty wählt zur Klärung den pragmatischen Weg. Sie steckt ihren ganzen Unterarm quer in das Maul eines Rindes. Und? Haben Kühe Zähne? Betty weiss die Antwort.

 

Da passt doch mal ein Witz von Bruno rein: Ein Ehepaar unterhält sich zur Frage, was möchtest du im nächsten Leben sein. Sagt der Mann: „Ein Löwe. Und du?“ Sagt die Frau: „eine Kuh“. „Geht nicht“, sagt der Mann: „Du kannst nicht zweimal dasselbe sein“.

 

Verzeihung, liebe Damen, der Witz lässt sich zur Rache auch auf Männer und entsprechende Tiere umdichten. 

 

Beim sausteilen Abstieg von der Ringelspitz SAC Hütte steigen an diesem wettersicheren Samstag scharenweise Alpinisten den sausteilen Weg zur Hütte hoch. Sie werden sich in Massenlagern bei einem konzertanten Geschnarche die Nacht um die Ohren schlagen. Frühmorgens werden sie trotzdem bereit sein, eine fette Leistung auf den Ringelspitz und bis zurück auf den Kunkelspass zu erbringen. Der Ringelspitz ist mit 3243m Höhe der höchste Berg auf St.Galler Kantonsgebiet. Wo wir früher über Gletscher auf- und abgestiegen sind, blendet heute nur noch nackter, glatter Fels.

 

You ve got a friend. Du hast eben einen Freund gewonnen. Andreas singt dieses Lied als Götti sehr kraft- und gefühlvoll zur Taufe von Yaro im Schloss Dottenwil. Die Gottä Ladina hat ihm eine persönliche Taufkerze gestaltet. Yaro hört mir aufmerksam zu, als würde er Wort für Wort verstehen und in sich aufnehmen. Dann freut er sich  am kühlen Taufwasser. Der Kleine ist von seinen Schwestern Elin und Mila und von vielen lieben Menschen umgeben. Was für ein Glück, so aufwachsen zu dürfen.

 

In Vilters rätselt man über meinen Stand. Auch andernorts. Die Leute sehen mich da und dort in einem Gottesdienst im Volk sitzen, nicht zelebrieren. Heisst pensioniert sein aus der Kirche ausgetreten? Bist du jetzt nicht mehr Pfarrer? Darfst du jetzt heiraten? O nein, ich bin und bleibe Seelsorger und Priester, nur ohne Gemeinde. Das bleibt lebenslänglich so, hoffe ich. So wie ein Vater Vater bleibt, eine Mutter Mutter, wenn die Kinder längst ausgezogen sind. Sooou schöön!

 

 

2016 September

 

Mit Blick auf die Nordwestseite habe ich das erhabene Gefühl, auf einem Fijord in Norwegen zu schippern. Schroffe, steile, teils bewaldete Wände fallen in den hundertfünfzig Meter tiefen See ab. Ich bin unterwegs auf dem Walensee von Unterterzen nach Au und den einen Kilometer zu Fuss nach Quinten. Schulklassen tummeln und toben nach einem Fussmarsch am abseits gelegenen Badestrand. In Quinten geniesse ich in einem der sehr grosszügig gebauten Restaurants mit Garten die gastfreundliche Bedienung. Rundum sehe ich fast ausschliesslich „Silberzwiebeli“ sitzen. Auf dem Schiff namens Churfirsten tuckernd gelange ich nach Wesen und zurück nach Unterterzen. Hei, der Walensee liegt fast vor meinem Womo und diese tolle Schiffstour erlebe ich Dank Theres und Hans und ihrem Johännerclub zum ersten Mal!   „….denn das Gute liegt so nah!“

 

Stefan Wildhaber von Sargans erweckt das Wagentheater zu neuem Leben. Die Truppe besucht mit dem Klamauk-Stück „Kei Stugg“ Dorf für Dorf im St. Galler Oberland und erhält einen Grossaufmarsch in Vilters.   

 

An unseres Bruders Paul`s zweiundsiebzigsten Geburtstag am 3. September kann ich nicht dabei sein. Gleich drei Ereignisse rufen mich nach dem nächtlichen Wagentheater nach St. Gallen.

 

Bischof Markus Büchel erteilt in der Kirche von St. Maria Neudorf St. Gallen drei Frauen die Beauftragung (Institutio) als Katechetinnen und zwei Männern als Pastoralassistenten. Der Empfehlung des Regens zur Folge sind alles hochkarätige Frauen und Männer, wie z.B. Matthias Wenk, der Pfarreibeauftragte von Halden. Eine sehr würdige, bewegende Feier für diese kirchliche Beauftragung. Mir tun die herzlichen Begegnungen mit dem Bischof, mit Matthias und vielen Bekannten sehr wohl. Besonders freut mich, dass unser Personalchef, Peter Lampart, dem man am Herzen herumgeflickt hat, das Herz wieder am rechten Fleck hat und weiterhin mit Interesse meine Berichte liest.

 

Am Nachmittag wechsle ich in die Haldenkirche St. Gallen. In der randvoll besetzten Kirche versetzt das Brautpaar, Nadine und Roger, unsere Gemüter von der Begrüssung weg bis zum Dank am Schluss in Wallung. So verschieden die beiden sind, so einig sind sie sich, dass es kein Softwarefehler, sondern „Echte Liebe“ ist, was sie bewegt und verbindet.   

 

Den Ökumenischen Gottesdienst mit Taufe gestaltet das Haldenteam am Sonntag auf dem Grüninger Fussballplatz in St. Gallen. Die fünf olympischen Ringe werden mit Gedanken, Gebeten und Symbolen gefüllt. Die „Young Believers“ (jungen Gläubigen) begleiten mit ihren Rhythmen und Liedern die Feier.

 

Für mich sind es vier dichte Anlässe an einem Wochenende. Sooou schööön!

Eigentlich haben Béatrice, Bischof Ivo Fürer und ich einen Ausflug ins Calfeisental geplant. Zwei Tage davor stürzt Ivo unglücklich und landet im Kantonsspital St. Gallen. So ein Pech! 

In meiner Jugend gab es keinen anderen Weg vom St. Galler Oberland ins Linthgebiet als entweder über den Kerenzerberg oder auf dem Walensee. Von der Terrasse des Hotels Römerturm in Filzbach sitze ich zusammen mit meiner Cousine hoch über dem Walensee und blicke auf das gegenüberliegende Amden und bis weit über den Zürichsee.   

 

Sechzehn Kameradinnen und Kameraden lassen sich für die Klassenzusammenkunft, Jahrgang 1946, in Vilters einladen. Das Museum in der Alten Post in Weisstannen finden wir durch die tolle Führung sehr interessant. Ebenso der kurze Rundgang im Haus der Generationen, Novellas in Vilters. 

     

Unsere Schwester Margrit feiert am 11. September bei wieder guter Gesundheit ihren vierundachtzigsten Geburtstag. Sooou schööön!

 

Seabridge stellt in Bad Dürrheim Womoreisen über alle Kontinente vor. Da brauche ich noch viele, viele Jahre, diese Strecken abzufahren. Wie bunt und vielfältig das Erdenvolk, wie atemberaubend die Gestaltung der dünnen Erdkruste. Sooou schööön!

 

Über den Arlberg und den Reschenpass vermeiden wir happige Mautabgaben an die Österreicher. Nach einem ersten Handtaschenkauf in Meran macht Theres den Vorschlag nach Riva di Garda zu fahren. Die Strecke über den Gampenpass verläuft in reizvoller Höhe. Bei Madonna di Campiglio türmen sich Brenta-Dolomiten hoch bis in die Wolken. Der zweite Handtaschenkauf erfolgt in der hübschen Altstadt von Riva di Garda. Ein über dem Westufer des Gardasees ansteigender Naturpfad wird von vielen Fussgängern und Mountain-Bikern benutzt und bietet zwischen Tunnelstücken freie Aussicht auf die Stadt und den See.

 

Jetzt nervt mich das Womo wirklich. Nicht dass der Scheibenwischerschlauch geplatzt ist und den Motor vollspritzt, sodass ich erst glaube, es sei das Kühlwasser, das leckt. Nein, ein flinkäugiger Reifenhändler sieht sofort, dass mein linker Vorderreifen einseitig abgewetzt ist. Wie denn das? Jetzt fährt das Womo wirklich fein geradeaus und trotzdem ist der Reifen nach fünfzehntausend Kilometern wie in grauen Vorzeiten aussen wieder flach. So eine Sch…

 

Von Riva del Garda kurven wir durch lange Tunnelabschnitte dem Westufer des Gardasees entlang nach Brescia und hoch über dem Lago D`Iseo leider auch wieder durch brandschwarze Tunnels nach Edolo und auf den Passo del Tonale. Mal Abwarten, ob der Regen anderntags aufhört. Und er hört auf. Grad rechtzeitig, so dass Hans und ich zum Passo Paradiso del Tonale siebenhundert Höhenmeter nasengäch aufsteigen können. Der Abstieg haut in die Knie, was ich erst anderntags feststelle. Theres packt es indessen, mir mehrere Küchenschubladen gründlich zu reinigen.

 

An der Strecke im Valle di Corteno gibt es herrlich enge Strassenabschnitte und ist doch nicht zu vergleichen mit den Kurven über Stazzona Richtung Tirano. Hinter dem Stausee von Le Prese finden wir bei Cantone zufällig einen ruhigen Parkplatz.

 

Auf der italienischen Seite windet sich das Womo von Chiavenna über sehr enge Kurven hoch nach Montespluga am Splügenstausee, kurz vor der Passhöhe. Auf der Schweizerseite runter wird`s noch lustiger. Auf kurze Strecken folgen enge Kurven. Bei dreien muss ich zweimal ansetzen, um den Überhang hinten nicht an Mauern und Pfosten abzuwetzen.

 

In Vilters besuchen wir das Grab von unserer Schwester Helen, die heute, am 21. September achtzig Jahre alt wäre/ist.

 

Nach sonnigen Tagen und wenig Regen nachts kehren wir überglücklich aus den Bergen nach Rotkreuz zurück. Alles sooou schööön!

 

Fürk AG in St. Gallen nimmt einen Augenschein von meinen Reifen. Diagnose: zu wenig Luftdruck. Wahrscheinlich auch die Spur um ein Viertel Millimeter verändern. Zwei neue Reifen sind fällig. Einen kann ich als Reservereifen behalten. Die vielen grandiosen Passfahrten haben das Womo stark in die Knie gezwungen. Bei mir ist es der Muskelkater von Passo Paradiso del Tonale.

 

Beim Mittagessen im Gallusmarkt legt ein junger Familienvater von Teenagern spannende Theorien von Physikern über „die sich selbst entwickelnde Intelligenz von Computern“ und „Gott in allem“ Theologien von Suffis auf den Tisch. Die selbstlernenden Rechner werden eines Tages das Denken und Entscheiden von Menschen überflügeln und den Menschen als sozusagen zurückgebliebenes, dummes Wesen für überflüssig ja selbst- und weltzerstörerisch erklären und die Menschheit nach dem Nützlichkeitsprinzip eliminieren. Durch diese Hyper-Intelligenz wird dann endlich Frieden sein auf Erden!

 

Alois Schmidlin mietet zu seinem 65. Geburtstagsfest das Kiwi Scala Kino in Schaffhausen. 65 Gäste dürfen einen seiner Lieblingsfilme als Überraschung sehen. Alois ist mir ein treuer Studienkollege von Tübingen. In seiner Freizeit hat er unermüdlich Filme geschaut, analysiert und stets an Filmfestivals in Solothurn, Locarno, Berlin und andernorts teilgenommen. Beruflich hat er in der Sozialarbeit und Psychiatrie gewirkt. Entsprechend ist seine Filmwahl zum Thema Solidarität ausgefallen. „Zwei Tage, eine Nacht“ von den Gebrüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne. Ein packendes Werk.

 

Johanna und Peter laden mich zum neuen Programm „Der Mausiker“ von ihrem Sohn MartinO in Wil ein. Fantastisch, unglaublich, was Martin in diesem seit März 2016 neuen Programm entwickelt hat. Der Stimmenkünstler begeistert mich während zwei Stunden. Wenig Technik, einfach MartinO voll präsent auf der Bühne! Sooou schööön!

 

Ein Strassenarbeiter in St. Gallen: Gott hat den Mann erschaffen, sah ihn an und sagte: Es ist gut so! Dann  schuf er die Frau, schaute sie an und sagte: Du kannst dich ja schminken!

 

Sorry, erzählen Frauen eigentlich auch Witze über Männer?

 

Am 26. September nimmt mein Womo freie Fahrt auf für sechs Wochen.

 

Ich habe mir zu DDR Zeiten nicht vorstellen können, dass mich, die aus den Trümmern von 1945 völlig neu aufgebaute Frauenkirche (1726-1743 gebaut) in Dresden, so faszinieren würde. Architektonisch ist der schiffslose, emporenreiche Bau mit einer schweren Steinkuppel eine grosse Seltenheit. Aber ans Herz geht mir der Wiederaufbau, weil am 13. Februar 1982 in der Ruine die ersten Friedenskerzen entzündet wurden. Als 1989 die Mauer fiel, kam bereits ein Jahr später der „Ruf aus Dresden“ mit dem Appell zum Wiederaufbau. Und der Ruf wurde weltweit gehört.

 

Die sorbische Gastfreundschaft ist ungebrochen, erfahren wir bei Franz-Josef und Lenka in Panschwitz-Kuckau. Auch bei Verena und Roman, die mich begleiten, wächst das Gefühl, als würde man sich schon immer kennen. Freundschaft auf Anhieb.

 

Einen spannenden Nachtrag zur Geschichte der Frauenkirche erhalten wir von Lenka. Die evangelisch orientierten Könige von Dresden engagierten bedeutende Bau-und Malkünstler aus dem katholischen Italien, die für mehrere Jahrzehnte oder auch für den Rest ihres Lebens in Sachsen wohnen blieben. Katholische Friedhöfe gab es aber in diesem Gebiet nicht. So haben diese Einwanderer die Nähe zum katholischen Frauenkloster Marienstern in Panschwitz-Kuckau gesucht. Betuchte Persönlichkeiten haben das Kloster finanziell kräftig unterstützt und sich in der Klosterkirche begraben lassen. Die Kirche und das Kloster haben sich immer um Behinderte gekümmert, als der Staat diese Aufgabe gern anderen überlassen hat. Heute hilft die grosse Behindertenabteilung die vernachlässigten Gebäulichkeiten zu pflegen und zu nutzen. Das Kloster Marienstern ist eines von wenigen Klöstern, das das tausendjährige Reich und die DDR-Zeit - mit genügend Nachwuchs - überlebt hat.

 

Franz Josef ist schnell mit einem Witz zur Stelle. Was man mit Geld alles machen kann. Kommt ein Schweizer nach Moskau und erschrickt ob der langen Schlange von Anstehenden vor Lenins Mausoleums. Er will keinesfalls so lange Schlange stehen. Er pirscht aussen vor und frägt den Wachoffizier um einen andern Weg. Hast du Schweizerfranken dabei? Ja, hab ich! Darauf der Offizier: Wollen Sie gleich reinkommen oder soll ich ihn rausbringen?

 

Kommt ein Achtzigjähriger mit einer hübschen Fünfundzwanzigjährigen daher. Fragt der Kollege bei einer günstigen Gelegenheit: Wie hast du das geschafft, so eine junge Frau zu heiraten? Sagt der Alte: Ganz einfach. Ich habe ihr gesagt, ich sei schon über Neunzig.

 

 

Cottbus, einst eine vernachlässigte Holzkohlenindustriestadt, hat sich seit der Wende ganz schön rausgeputzt. 

 

2016 Oktober

 

Kraniche ziehen bei Nachteinbruch über uns zu ihrem Schlafplatz. In breiter Pfeilformation fliegend sind sie besorgt, kein Mitglied zu verlieren. Am Morgen fliegen sie in kleineren Gruppen zur Futtersuche. Sooou schööön!

 

Auch Verena, Roman und ich ziehen weiter von Eberswalde (D) über Stettin (P) bis nach Kolobrzeg an die Ostsee. Soweit wir sehen können, liegt feiner Sand vor der Dünung. Er massiert meine baren Füsse.

 

Die polnische Grossstadt Danzig präsentiert zahlreiche historische Bauten. Die Lange Strasse mit tollen Fassaden. Solidarnoc liegt als Erinnerung weit zurück. Dabei hat damals durch den Arbeiteraufstand in Danzig das ganze Bröckeln des Kommunismus im Westen begonnen, über den Mauerfall in Berlin bis hin zu den Selbständigkeitserklärungen der Baltischen Staaten.

 

Mutter Natur hat anfangs Oktober ihre Malfarben ausgepackt. Die Bäume und Sträucher leuchten gelb, ocker, braun, rot und grün in allen Zwischentönen.

 

Die Kurische Nehrung (114 Kilometer lang) liegt vor der russischen Enklave nördlich Kaliningrad und ab Nida nordwärst vor Litauen. Ein schmaler Küstenstreifen aus Inseln und Dünen gewachsen, bildet diese langgezogene Nehrung. Meerwasser dringt nur durch eine fünfhundert Meter breite Passage bei Klaipeda in das gefangene Meer. Der breite Grenzfluss Neman (Nemunas) ergiesst, wie viele kleinere Flüsse, sein Wasser in das abgetrennte Meer.

 

Obwohl die Strasse von Klaipeda über Palanga bis hinauf an den nordwestlichsten Zipfel bei Kolka dicht an der Ostsee nach Norden führt, hat man wegen der dichten Bewaldung keine freie Sicht auf das Meer. Die Zugänge sind spärlich. Dann aber begeistern uns die Küste, der Sandstrand und das Meer. Wir hüllen uns gut ein, denn bei elf Grad und starkem Wind werden die Knochen steif. (Blöder Ausdruck. Die Knochen bleiben hoffentlich auch in der heissen Wüste steif.)

 

Kolkarags nennen die Letten den äussersten Zipfel, bevor die Ostsee eine riesige Bucht bis Riga hinunter vorlegt. Auf der Höhe von Kolkarags peitscht die Ostseeströmung auf die Riga-Bucht-Strömung. Auf wenigen Metern erleben wir den Wind, der aus zwei Richtungen bläst. Baden verboten, weil die Strömungen unberechenbar nach jedem Leben greifen. Eine sechs Kilometer lange Unterwasserdüne lässt die unachtsamen Kapitäne auffahren. Schon einigen Schiffen wurde diese plötzliche Gegenströmung zum Verhängnis.  

 

Zum Verhängnis: Kurze Strecken sind oft auch auf dem Festland sehr erschütternd. Die Nacht zieht heran. Die Schlafzimmer-Spiegeltüren in meinem Womo lassen sich nicht mehr öffnen! Wo sollen Verna und Roman schlafen. Ihre Betten und Habseligkeiten sind nicht erreichbar. Nachdem ich keine Unregelmässigkeiten an den Schienen sehen kann, rufe ich meinen Retter-Schwager Hans an. Nach einer kurzen Ferndiagnose meint er, ich solle mit einem festen Schraubendreher erst die eine, dann die andere Türe von unten her lockern. Eine lockere Schraube müsse sich verfangen haben. Nach kurzer Zeit springt die Türe auf! Der Schreck fliegt weg. Sooou schööön!

 

Der Schreck ist weg, aber das Türendesaster noch lange nicht behoben. Wir lassen  die Spiegeltüre Tag und Nacht offen stehen! 

 

Riga, die Hauptstadt von Lettland, hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Die Deutschen (Erzbischöfe im Streit mit den Schwertbrüderorden und dem Deutschen Orden / Katholiken gegen Katholiken), die Schweden, die Russen hatten sich Lettlands bemächtigt. Die bis in die jüngste Zeit gefürchteten Gebäude von Riga stehen heute versteinert, machtlos da.

Von 1941 bis 1944 wurden im Wald von Biķernieki bei mehreren Massakern etwa 20.000 Juden, 10.000 Kriegsgefangene und 5.000 Widerstandskämpfer ermordet. Vom 30. November bis zum 9. Dezember 1941 wurden im Wald von Rumbula etwa 27.500 Juden ermordet.

 

Während der kriegerischen Auseinandersetzungen um die Rückeroberung der Stadt durch die Rote Armee 1944 wurde die Altstadt Rigas schwer beschädigt. Lettland wurde erneut von der Sowjetunion besetzt und Riga wurde Hauptstadt der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Das Baltikum lag hinter dem Eisernen Vorhang!

 

Ermutigt durch Perestroika und Glasnost erklärte die Saeima, das lettische Parlament, 1990 die Wiederherstellung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Daraufhin ließ der damalige Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU und Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, das Parlamentsgebäude in Riga zeitweilig durch sowjetische Militäreinheiten besetzen. Dennoch…

 

Am 21. August 1991 erkannte die Sowjetunion die Unabhängigkeit Lettlands an; ebenso (nach dem Zerfall der Sowjetunion) 1991 der russische Präsident Boris Jelzin. Riga wurde wieder Hauptstadt eines souveränen lettischen Staates.

 

Ca 60% der Einwohner von Riga sind heute noch Russen. Schweden leben da, Deutsche und viele andere. Die Einwohner machen einen abwesenden, abweisenden, unfreundlichen, scheuen Eindruck! Begreiflich, nach dieser hin- und hergezerrten Vergangenheit. Höfliche, aufgestellte Typen – Frauen wie Männer - sind immer eine Überraschung! Vor allem wenn ich sie als Erster anspreche, tauen sie auf.

 

So zum Beispiel dieser junge Kassenaufseher im Supermarkt. Auf die Frage, wo ich in Riga Werkzeug kaufen kann und wo sich das Einkaufszentrum Spice befindet, schaltet er sein handy ein, erklärt mir den Weg dahin und zeigt Nahaufnahmen von den einzelnen Zentren. Meine Frage, warum er so gut englisch spricht, beantwortet er mit: Vom Gamen. Er spiele oft mit anderen im Internet und müsse sich halt dabei verständigen. So habe er English gelernt. Alle Achtung vor diesem Jungen und das Gamen mit Kommunikation erscheint mir in einem positiven Licht.

 

Jetzt geht es um die richtige Reihenfolge. Erst muss ich das Kirsy finden, um eine Rohrzange zu kaufen. Dann den mitteleuropäischen Adapter zum Gastanken lockern und mit dem baltischen Adapter eine LPG Tankstelle suchen. Beides mit Erfolg. Nur mit der Wäsche haben wir keinen Erfolg. Es gibt in ganz Riga keine Waschhäuschen, wo man als Tourist Wäsche waschen kann!  

Einen Teilerfolg haben wir mit dem Campground. Eigentlich sind im Oktober alle Campgrounds geschlossen. Wir stellen uns wild an ruhigen Orten hin und schlafen prima. Auch das einzige Camp in Riga ist geschlossen. Aber für zehn Euro pro Nacht können wir wie auf einem Stellplatz stehen bleiben. Kriegen Elektroanschluss, können Wasser tanken und Wasser lassen, Toilette entleeren und Abfall entsorgen. Dabei ist der Platz Tag und Nacht bewacht. Mehr brauchen wir nicht, um uns in der Stadt wohl zu fühlen.

 

Die Lebensmitteleinkäufe und das Essen in den Restaurants sind sündhaft billig. Wie können die Balten bei diesen Niedrigpreisen nur überleben? Ihre Moneten sind doch auch Euros!

 

Viele Sehenswürdigkeiten liegen für Fussgänger etwas weit auseinander. Eine Stadtrundfahrt mit einem kleinen Bus lohnt sich total. Riga ist für mich die Stadt der Parks. Laut Kommentar im City-Bus auch die Stadt der Hähne auf den Turmspitzen. Diese Hähne waren früher Windzeichen. Auf der einen Seite waren sie golden, auf der anderen schwarz. Je nachdem wie der Wind blies, zeigte der Gockel den Leuten die goldene oder die schwarze Seite. Die Goldene liess wissen, dass der Wind vom Meer her weht. Günstig für die Handelsschiffe zur Einfahrt in den Hafen von Riga. Günstig für die Handelsleute am Hafen. Zeigte der Wind die schwarze Seite, hiess es Warten auf bessere Zeiten.

Im lutherischen Dom erleben wir ein fantastisches Konzert mit einer Organistin, einem Cellisten und einer Sängerin. In Riga studieren sehr viele junge Menschen Musik und Ballette und lassen sich mit ihren Talenten entdecken. 

 

Aus dem Dornröschen Ballette schleiche ich mich nach der zweiten Pause davon. Die Tanzleistung mag glanzvoll sein. Aber das endlose Trippeln und Grätschen reichen mir nach zwei Stunden. Vielleicht hätte ich einfach die Augen schliessen sollen und die Musik von Tschaikowsky zu Ende hören.

 

Östlich von Riga beginnt bald der Gauja Nationalpark. Der Himmel hat wieder total aufgeklart. Die Herbstfarben spielen in den Blättern der Bäume und auf den Feldern. Im Turgaida Schloss erleben wir Geschichte der Bischöfe von Riga, die mit Burgen ihre Landbesitze weiterherum verteidigen liessen.

 

In Cesis können wir endlich unsere Klamotten und Küchentücher waschen lassen. Das gibt uns Gelegenheit, die Altstadt kreuz und quer zu durchstreifen. Die Holzhäuser scheinen ärmlich. Aber wenn wir bedenken, dass sie zweihundert Jahre alt sind, gewinnen sie an Würde.

 

Damals war es Sperrgebiet. Heute steht exakt auf der Flugbahn des ehemaligen russischen Flughafens das neue Estnische Nationalmuseum in Tartu. Es ist ein stinkmoderner Neubau mit gewaltigem Vordach. Innen und aussen bewundernswert. Die Esten stellen den Alltag ihres Lebens in der Vergangenheit dar. Handwerk und Brauchtum, Spezielles aus der Besatzungszeit.

 

Ein herzliches Wiedersehen gibt es in Jögeva. Aimar habe ich vor dreiundzwanzig Jahren in Taizé kennen gelernt. Du kennst ihn mit seiner Frau Kathy bereits von unserer gemeinsamen Reise in Lappland 2013. Er erlebte als Schuljunge noch die russische Besatzung.

 

Jögeva zählt fünftausend Einwohner. Es gibt keine Kirche vor Ort, weil diese Stadt entlang der Eisenbahnlinie unter der russischen Besatzung entstanden ist. Ein Kirchenneubau hatte damals keine Chance, erzählen seine Eltern Mare und Rein.

 

Elche gibt es wirklich bereits in Estland. Bären auch. Fünfhundert an der Zahl. Ob wir einen zu Gesicht bekommen? Vorläufig begegnen wir ihm in einem kleinen Tierpark. In Äxi ist ein aussagekräftiges Museum zur Eiszeit über Estland eröffnet. Vor dem Haus, an einem der fünf Seen, liegen Findlinge aus dieser Zeit. Von Finnland hergeschwemmt.

 

Immer wieder blitzen mir Aimars künstlerisch wertvollen Fotos von Tieren, Pflanzen  und Landschaften auf. Sooou schööön!

 

Die 1,35 Millionen Esten bringen tausende begeisterte VolkstänzerInnen mit schmucken Trachten auf den Festplatz. Ebenso nehmen Tausende in Chören Anteil an dem Sängerfest, das alle vier Jahre stattfindet. Eine bewegende, mitreissende Kraft geht von diesen Festen aus. Das spüre ich sogar beim gemeinsamen Betrachten der Videoaufzeichnungen.

 

Unsere Freundschaft besiegelnd singen wir vor und nach dem Abendessen Taizélieder. Die Eltern singen mit Aimar und üben mit uns estnische Volklieder. Sind so liebe, offene Leute! Sooou schööön!

 

 

Oktober 2016  Teil 2

 

Der russisch-orthodoxe Gottesdienst auf dem Domberg über Tallinn ergreift mich. Sicher, der Aufwand für die Zeremonie mit den goldenen Gewändern, vergoldeten Ikonen, Ikonostasen und Gefässen mag uns Westlern pompös erscheinen. Die russische Seele aber empfindet dies mit Inbrunst als Hingabe „zur Ehre Gottes“. Das war doch früher auch bei uns mal so, bis die Aufklärung der Theologie die neue Richtung des sozialen Engagements und des „Gott in jedem Menschen“ vorgegeben hat. In der Folge ist das Empfinden „zur Ehre Gottes“ weggekippt. Sind wir bei unserem Urteil nicht etwas pharisäisch? Ist es nicht so, dass wir bei einem Fünfgänge Menue und einer auserlesenen Flasche Wein unbedacht den Reichtum der Kirchen kritisieren? Haben wir Schweizer das soziale Engagement im Blick auf weitere seelische Bedürfnisse nicht etwas einseitig übertrieben? Jedenfalls ergreift und erwärmt der orthodoxe Gesang meine Seele vom ersten Ton des vierstimmigen Gesanges an und auch wenn der Pope mit seinem tiefen Bass Solo singend betet und der Chor die Antworten unterlegt. Sooou ergreifend, sooou schööön!

  

Das zeitgenössische moderne Kunstmuseum in Tallinn wird gut besucht. Die Exponate zeigen, wie die Esten noch und noch am Thema der Fremdmächte arbeiten. Dabei nimmt die Auseinandersetzung mit der letzten Besatzung durch Russland sehr viel Platz ein. Sogar Witze werden im Museum wiedergegeben: In der Schule gibt es eine Lektion zum Thema: Ist Leben auf dem Mars möglich? Am Ende der Stunde  dürfen Fragen gestellt werden. Fragt ein Schüler: Ist Leben in der Sowjetunion möglich?

 

Tausende von Weisswangen- oder Nonnengänse lagern vor dem Dunkelwerden auf einem abgeernteten Feld. Es sind arktische Tundragänse. Hunderte kommen noch an. Wie finden sie nur alle zusammen? Ein Schauspiel besonderer Art nördlich von Rakvere, am Nordrand von Estland.

 

Die Stadt Narva ist zu neunzig Prozent von Russen belegt. Die sind nach 1991 einfach nicht mehr nach Russland zurückgekehrt. Warum auch! Viele sind hier geboren und haben sich eine Existenz aufgebaut. Es soll für Esten schwierig sein, sich hier unter der Überzahl der Russen zu behaupten.

 

Narva heisst der breite Grenzfluss, durch den die estnisch-russische Grenze mit roten Bojen angezeigt und streng bewacht wird. Die Narva verbindet den Peipsi-See mit dem finnischen Meeresbusen der Ostsee.

 

Das rote Backsteinkloster in Kuremäe beherbergt hundertfünfzig arbeitsame meist russischstämmige Schwestern. Sie leben wirtschaftlich autark. Die Nonnen leben in gepflegten, bemalten Holzhäusern um einen ruhigen, kleinen Baum-Park herum. Gewaltig hoch sind ihre für den kalten Winter vorbereiteten runden Brennholztürme.

 

Im schneeweissen Altgläubigenkloster von Vasknarva leben nur wenige russischstämmige Nonnen. Ihre Kirche bleibt uns leider verschlossen. Altgläubig? Sie haben die Angleichung der russischen Theologie und Liturgie mit den Byzantinern nicht mit vollzogen.

 

Der Küste des Peigsi-Sees entlang finden wir wegen der privaten Abzäunungen nur selten einen Zugang durch die Fichtenwälder zur feinen, schmalen Sandküste des Sees.

 

Abertausende indiviuelle Kreuze wurden seit 1961 auf den Kreuzesberg (Kryziu kalnas) bei Schiauliai/Schaulen (Litauen) geschleppt und aufgerichtet oder an grössere Kreuze angehängt. Die Russen hatten die früheren Kreuze aus Jahrzehnte langer Tradition plattgewalzt und das Aufrichten neuer Kreuze verboten. Es entstand ein Kampf zwischen Behörden und Bürgern. Letztere haben sich durch unerschrockenen Widerstand durchgesetzt. Die Kreuze bedeuten tausendfaches Leid, individuelles wie Kummer und Krankheit, aber auch Gedenken an Menschen, die scharenweise verschleppt wurden oder sonst wie verschwanden.

 

Papst Johannes Paul II. hat diesen Hügel des Widerstandes und des Leidens besucht und sich hier eine Kapelle gewünscht. Die Franziskaner sind diesem Anliegen nachgekommen. Uns fällt es nach dem Besuch des Hügels zu, eine Messe mit Pater Michael und Pater Severin in litauischer Sprache mitzufeiern. Im Evangelium sagt Jesus: „Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern (das Schwert) die innere und äussere Unruhe“, übersetzt  Pater Severin. Er deutet diese Worte: „Ich will deine Entscheidung! Du sollst das Kreuz nicht suchen.  Aber wenn es da ist, sollst du dich notfalls entscheiden, es zu tragen!“  Als ich mich Pater Severin im Gespräch danach als seinen Mitbruder zu erkennen gebe, bricht heitere Freude aus ihm heraus. Alles wieder so eindrücklich und sooou schööön!

 

In Kaunas fällt am 20. Oktober erstmals nasser Schnee. Im Museum werden Werke von M.K. Ciurlionis ausgestellt. Er lebte im 20. Jahrhundert und war ein bedeutender litauischer Maler und Musiker. In einer Halle wird uns seine Musik dargeboten.

 

In Vilnius oder Wilna prägen die vielen katholischen, russisch-orthodoxen und lutherischen Kirchen das Stadtbild. Es gibt auch wieder Moscheen und eine Synagoge. Die Bevölkerung gilt in religiösen Fragen als sehr tolerant. Dabei wurden ausgerechnet hier in zwei Ghettos bis fünfzigtausend Juden ermordet. 28% der Bevölkerung gehörten damals den jüdischen Gemeinden an. Was Hitler an Rassenhass reingetragen hat, haben Polen und Russen geschürt und mit vollzogen.

 

Es sind so junge Talente, die bis zur vollen Entfaltung gefördert werden. Gleich zwei Organistinnen geben zusammen in der St. Johann Kirche ein gewaltiges Konzert. Der Totentanz von Guy Bovet lässt in mir das Bild entstehen, wie tausende und abertausende Tote in wunderbarer Weise wie im Nebel tanzen und tanzen. Der tanzende Zug zieht an mir vorüber, die Tanzmusik schwillt an und verebbt wieder. Ein Wunderwerk von diesem Schweizer Komponisten. Sooou schööön!

 

In Warschau suche und finde ich Methanol für das Brennstoffzellengerät zur Gewinnung von Energie für die Wohnraumbatterien. Sau teuer, das Vierfache wie in der Schweiz. Aber ich muss die Batterien speisen, denn die Solarzellen auf dem Dach reichen bei diesem regnerischen, dunkel verhangenen Wetter nicht aus, unsere Geräte zu füllen.

Warschau lag nach dem zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche. Grauenhafte Bilder werden an Strassen und in Parks gezeigt! Warschau hat in seiner Geschichte unglaubliche Niederschläge durch Krieg und Verwüstung erlitten. Auch so eine Stadt und ein Land wie das Baltikum, wo es dermassen Leid und Erschütterungen gab. Das kann meine Schweizer-Nachkriegsseele überhaupt nicht einschätzen und nachempfinden. Immer wieder treffen wir Alt und Jung betend in einer Kirche an oder sie nehmen an einem Gottesdienst teil.

 

Vieles in der Altstadt wurde wieder aufgebaut und von der UNESCO geschützt. Aussen herum ist Warschau sehr unansehnlich und noch eine einzige Baustelle. Überall treffe ich auf Fotoausstellungen der Verwüstung. Einer Hauptstrasse entlang bilden die modernen Hochhäuser eine Skyline. Die Warschauer sind Weltmeister im Schallmauerbau entlang der Autostrassen! In der Stadt mitsamt den Vororten leben 3,5 Millionen Menschen. 

Ein Glück, dass die Warschauer heute in etwa im Frieden leben. Junge Menschen können ihre Talente entfalten. So zum Beispiel der junge Künstler, der uns ein Chopin-Konzert darbietet.

 

Vor Konzertbeginn berichtet mir eine Freundin aus der Schweiz, ihr Mann habe sein Gehör fast gänzlich verloren. Er nage an Depressionen, möchte am liebsten sterben. Diese traurige Nachricht legt sich auf den Grund meiner Seele und über alles, was ich in diesem Konzert und an diesem Abend höre und erlebe. Mir wird bewusst, was mir mein feines Gehör schenkt.

 

Fünf Jungen, die sich mit dem Münzen Geklimper in ihrer Instrumentenhülle zufrieden geben, spielen auf der Strasse sehr ausdrucksstark Blues und Jazz. Sooou schöön!

 

In Tschenstochau wird die Marienikone in einer Seitenkapelle der Klosterkirche verehrt. Millionen Pilger sollen sie jährlich besuchen. Ich bin kein so guter Beter, dass ich es bei diesem Kommen und Gehen von Touristen und der barrocken Ablenkung zu einem anständigen Gebet brächte. Es wird auch schrecklich frommer Unsinn weitergegeben: Die Ikone soll auf einem Stück der Tischplatte von der Heiligen Familie gemalt sein!

Sechs Kilometer vor den zu erreichenden Koordinaten blockiert und bockt meine GPS-Führerin Karin im dichten Verkehr der Stadt Krakau. Wofür will sie sich bloss rächen? Bin ich zu oft nicht ihrer vorgeschlagenen Route gefolgt? Es ist schon dunkel geworden. Wie das GPS wieder erwacht, führt es mich durch einautobreite Strässchen von einer Sackgasse zur andern. Auf einer Anhöhe wird ein Campingplatz von Privat angeboten. Kein Hinweis, gar nichts auf der Strasse. Die Leute rund herum wissen auch nichts über einen solchen Platz. Schliesslich führt ein bei Dunkelheit zu enges Tor in den privaten Garten. Das ganze technische Angebot ist reichlich improvisiert. Wir werden es überleben. Hauptsache wir finden in die Stadt!

 

Eine Nacht später fährt das Taxi ebenfalls in die Falle: Sackgasse wegen Strassenbau. Umwege fahren bringt nichts. Den Campingboss anrufen hilft. Wo sind wir nur gelandet? Der Camping nennt sich Apis. Frischwasser mit der Giesskanne einfüllen. Abwasser mit der WC Kassette wegtragen.

 

Einen Abend später findet auch der zweite Taxidriver unser Camp nicht. Er lässt sich nicht dreinreden und verfährt sich total.

 

Krakau präsentiert sich wie damals im Mai 2016 als ich mit Luce und Patrice hier war. Eine quirlige, menschenansammelnde Stadt. Ein kleines Orchester bietet uns ein tolles Konzert in der Peter und Paul Kirche.

 

Das Foto in der Marienkirche darf ich dir gar nicht zeigen. Fotografieren verboten! Du findest es trotzdem unter meinen Bildern. Manchmal reizt es mich, was Verbotenes zu tun, vor allem, wenn der Aufseher mit der langen Nase so grimmig nach Fehlbaren sucht. Sein Gesichtsausdruck besagt: Du bist hier nicht willkommen, bist eh ein Sünder.

 

Die Stadtrundfahrt bringt ausser kalten Füssen eigentlich nichts. Ausser einem künstlichen Hügel und einen flüchtigen Blick auf Oskar Schindlers Fabrik, wo er tausend Juden das Leben gerettet hat, bringt die Fahrt nichts, was wir nicht schon zu Fuss erreicht haben.

Die Stadt Krakau aber lebt. Menschenmassen wogen aus allen Gassen auf den Tuchplatz vor der Marienkirche und in die Gassen hinein. Hübsche Menschen sind es, die wir auf unserer Reise von Tallinn bis Krakau kreuzen. Sooou schöön!  

 

Die Ebenen von Estland, Lettland und Litauen liegen weit zurück. Westlich von Krakau geht es über Ausläufer der Karpaten hügelauf und -ab.  Die Herbstfarben der Bäume brennen im Abendlicht. Soou schöön!

 

Bei der aufgehobenen Grenze zwischen Polen und Tschechien hocken zwei tschechische Aufpasser. Sie kontrollieren die Autovignetten. In meinem Fall das GO Gerät, das bei jeder Kontrollstelle meine Durchfahrt notiert und meinen Kredit schmälert (dasselbe System wie in Österreich und in Polen). Dass ich ein GO Gerät mieten muss, ist korrekt. Das erledige ich auf dem Büro. Danach will der Aufpasser hundert Euro, weil er behauptet, er habe mich vor einer Strafe bewahrt und ich sei auf dem Weg durch Polen bis hierher durch drei Zahlstellen gefahren, ohne zu zahlen. Das würde eine Strafe von 1000 Euro nach sich ziehen. Er werde aber mit der polnischen Polizei sprechen, dass sie keine Busse erheben, sofern ich ihm was... Ich offeriere ihm 20 Euro Schmiergeld. Das sei nichts, erklärt er. Er brauche hundert. Achtzig für die Polizei und zwanzig für sich, weil er für mich die polnische Polizei zum Schweigen bringe. Ich offeriere ihm 50 Euro. Er will mehr. Er betont, er sei nicht kriminell und bestätigt mir damit das Gegenteil! Darauf verlange ich, dass er mir seinen Namen aufschreibt. Wenn er clever ist, schreibt er einen falschen Namen. Darum mache ich noch ein Foto von ihm mit der Bemerkung, wenn mich die polnische Polizei in der Schweiz doch noch bestrafen will, komme ich auf seine kriminellen Machenschaften zurück! Natürlich will er ein Foto verhindern. Aber da kommt er zu spät. Sein schmieriges Antlitz schmort schon in meinem Kasten. Er wird mit seinen 50 Euro sehr zufrieden sein und noch lange über  diese Begegnung nachdenken. Leider habe ich ihm gegenüber zu erwähnen vergessen, dass ich katholischer Pfarrer bin. Der hätte mit einem Kniefall um Verzeihung gebeten und ich hätte ihm glatt die Beichte abgenommen. Für fünfzig Euro Wiedergutmachung, versteht sich!  

 

Die Hügellandschaft beschert wieder eine farbenfrohe Herbstfahrt in Richtung Prag. Sooou schööön!  

 

Die goldene Stadt Prag wirkt auf mich nach fünf Reise-Wochen nochmals wie ein Höhepunkt. Vom Schloss herunterzuschauen auf die Stadt, durch die alten Gassen zu flanieren. Menschenmassen freuen sich mit mir. Am Abend noch ein Orchester-Konzert. Einfach soou schöön!

 

Natürlich haben die Prager, in der jüngsten Geschichte dramatische Szenen erlebt. Du erinnerst dich an den Wenzelsplatz. Schauplatz des Prager Frühlings 1968. Die Tschechen litten unter der sozialistischen Regierung. In ihren Augen regierte der „rote Faschismus“. Sie wollten dem Sozialismus ein menschlicheres Gesicht geben. Die Demonstrationen und Bewegungen wurden von Truppen des Warschauer Pakts mit Waffengewalt niedergeschlagen.

 

1976 habe ich Prag besucht. Nachts waren auf dem Wenzelsplatz zwei Personen. Die Eine alkoholisiert herumgetorkelt. Die andere Person habe ich nach dem Weg zurück zu meinem Hotel Interkontinental gefragt. Da hat mich ein waghalsiges Vertrauen gepackt. In Sekunden habe ich ihm verraten, dass ich katholischer Kaplan bin. In Sekunden hat er mir verraten, dass er ein Kapuzinerpater ist, dessen Kloster von den Sozialisten aufgehoben und er zur Zwangsarbeit als Maurer verurteilt wurde. Wir haben uns für anderntags in einer öffentlichen Bibliothek verabredet. Er war da. Er hat mich zu einer geheimen, staatlich verbotenen Taufe in einem Keller eines Mehrfamilienhauses mitgenommen! Erst bei dieser Feier habe ich gewusst, dass er kein Staatsagent war, der mich reinlegen wollte. Eine bewegende Feier!

   

1989 fand in Prag die sogenannte Samtene Revolution statt. Das bedeutete das Ende des sozialistischen Regimes und in der Folge auch der Zerfall der Tschechoslowakei in die Republiken Tschechien und Slowakei.

 

DDR Bürger nutzten scharenweise die revolutionären Ereignisse, in Prag auf die bundesdeutsche Botschaft zu flüchten, um dem sozialistischen Regime in ihrer Heimat Richtung Westdeutschland zu entkommen. Und schliesslich fiel am Ende desselben Jahres die Berliner Mauer. Kein Opfer war vergebens!

 

Jetzt darf ich Ende Oktober 2016 mit Verena und Roman und auch mit Tausenden flanierend ein freies, fröhliches, sonniges Prag erleben. Sooou schöön!

 

 

2016 November

 

Bin noch auf der Rückreise aus dem Baltikum mit Verena und Roman. Altdorf bei Nürnberg liegt zehn Kilometer östlich von Nürnberg. Dieses Altdorf führt mit Altdorf im Kanton Uri in der Schweiz eine Partnerschaft. Gabi und Ralf, Michael und Christian aus Nürnberg besuchen uns sehr spontan da draussen. Ein frohes Wiedersehen, da sie auch Verena und Roman vom Ökumene Austausch zwischen Halden und Nürnberg kennen.

 

In Altdorf b.N. besorge ich mir eine Felge für mein Wohnmobil. Für den Trip von 2017 muss ich mein Womo mit zwei Ersatzrädern ausrüsten. 

 

Am Ulmer Münster wird seit Jahrzehnten renoviert und restauriert. Der Kirchturm hat eine Höhe von 161,53 Metern. Um das Münster herum stehen an den alten Baustil angepasste Neubauten und toppmoderne Bürobauten. Im Flösser- und Fischereiquartier gleich nebenan an der Donau träumen hübsche, kleine, bunte Riegelbauten wie auf dem Adventskalender.

 

Abends fragen wir einen jungen Mann nach einer Tramhaltestelle für das Tram zu unserem Stellplatz beim Kongresshaus. Der nimmt ernsthaft sein Handy zu Hilfe, guckt nach, wann und wo das Tram fährt. Fragt: Mögen Sie einen Kilometer laufen? Na klar! Dann laufen Sie hier einen Kilometer gerade aus. Dort vorne hält das Tram. Sie müssen aber nicht einsteigen. Sie werden gleich beim Stellplatz ankommen. Es sind nur 2,4 Kilometer! Über so viel Witz freuen wir uns nach den meist menschlichen Trockenerfahrungen im Baltikum.

 

Ulm war Sammelort der Auswanderer (besser Ausschiffer, Ausflösser) aus dem Habsburgerreich. Eine Auswanderungswelle erreichte zwischen dem späten 17. und Mitte des 18. Jahrhunderts auf Einwegbooten (wegen ihrer einfachen Bauart spöttisch Ulmer Schachteln genannt) die neueroberten Länder des Habsburgischen Reiches im südöstlichen Europa. In ihren neuen Siedlungsgebieten im heutigen Rumänien, Unganr und Serbien entstanden die Volksgruppen der Ungardeutschen und der Donauschwaben. 

 

Eine zweite Auswanderungswelle folgte Anfang des 19. Jahrhunderts. Von 1804 bis 1818 gelangten Tausende Auswanderer auf Flossen und Ulmer Schachteln ins Mündungsgebiet der Donau (Dobrudscha) im heutigen Bulgarien und Rumänien sowie nach Bessarabien (heutiges Moldawien) ans nördliche Schwarze Meer bis Ismajil (heutige Süd-Ukraine) und von dort nach Süd-Russland, insbesondere in das Gebiet des Kaukasus. Diese Volksgruppen nannte man die Dobrudschadeutschen, Bessarabiendeutschen, Schwarzmeerdeutschen und Kaukasiendeutschen.

 

Infolge des Zweiten Weltkrieges wurden die Ungarndeutschen und Donauschwaben aus Serbien und Ungarn vertrieben. Nach 1990 setzte noch eine Auswanderungswelle von Donauschwaben aus Rumänien ein. Sie siedelten sich häufig in den ehemaligen Herkunftsgebieten ihrer Vorfahren an. Dadurch entstand seit den späten 1940er Jahren rund um Ulm eine starke donauschwäbische Gemeinde.

 

Auf einer Anhöhe an der Autobahn bei Leutkirch steht eine Autobahnkapelle, ein Rundbau mit einer klaren Laterne wie ein Leuchtturm. Auf dieser Anhöhe bringen wir mit Gebeten, Kerzen und Liedern unseren Dank für diese unbeschwerte Reisezeit vor Gott. ember

Nach nahezu sechs Wochen und siebentausend Kilometern steigen Verena und Roman am 4. Nov in St. Gallen wieder an Land. Wir haben Ostdeutschland durchfahren, das nördliche Polen, Litauen, Lettland bis Estland. Sind im Osten von Estland wieder runter über Lettland, Litauen, Ostpolen, Tschechien, Süddeutschland bis in die Schweiz gefahren. Angesammelt haben sich Eindrücke und Erfahrungen mit Konzerten, Museen, Begegnungen, der Natur, der Geschichte, den Fotos. Soou schöön!

 

Erst gerade in der Schweiz angekommen geht das Erleben weiter.

 

Yaro, der Sohn von Nadine und Tobias, lädt mich zu seinem ersten Geburtstagsfest nach Abtwil. Lebensfreude rundum!

 

Es treffen auch schwierige Berichte aus der Verwandtschaft ein. Meine Schwester Margrit wird mit einer Lungenentzündung und etlichen Bakterienherden ins Spital gebracht.

Ein naher Verwandter, Walter, bekommt mit 59 Jahren einen schlimmen Krebs-Metastasen-Bericht. Mir bleiben der Atem und das Blut stocken. Die Seele sinkt in Trauer.

 

Der ökumenische Singkreis von Halden singt zusammen mit der Kantorei Tablat und Solisten im Grossacker die Messe in A-Dur von César Franck. Und sie schliessen dieses musikalisch kostbare und sehr wohlklingende Konzert mit Francks Lied: „Deine Hand, starker Gott, hält mich und gibt mir Kraft“. Mögen viele Leidende und Enttäuschte trotz der Bitterkeit ihres Schicksals an solchen Gedanken Halt finden. Soou tröstlich, soou schöön!

 

Auf dem Stellplatz in St. Gallen kommt ein fettes Lastwagen-Mobil angefahren. Rita und Claude kommen eben von der Reise zurück, die ich im Mai 2017 anfahren werde. Ich könne mich freuen, wiederholen sie begeistert! Sie sind bereit, mir bei Gelegenheit einige Tipps zu geben. War das ein Zufall. Zumindest ist mir diese Begegnung zugefallen. Soou schöön!

 

In der Nacht der Lichter halten alle Besucher in der überfüllten Kathedrale von St. Gallen ein warmleuchtendes Licht in der Hand. Inspiriert wird dieses Ereignis, das auch simultan in der evangelischen Laurenzen Kirche stattfindet,  durch die Communautée von Taizé. Die JugendarbeiterInnen bereiten das Gebet und Treffen zusammen mit Firmlingen und anderen Jugendlichen vor. Die sich wiederholenden Taizé-Gesänge und die gemeinsame Stille erwärmen mir das Herz. Was für ein Einstieg in die Adventszeit! Sooou schööön!

 

Lincke, Hatt und Sennhauser singen und spielen Nordische Advents- und Weihnachtsmusik von Schottland bis Schweden in Halden. Lüpfig, fröhlich mit Fidel, Gitarre und Klavier.

 

Nach fünf Jahren fühle ich mich in dieser Halden Kirche nach wie vor sehr warm beheimatet. Das liegt auch an der willkommen heissenden Offenheit des Nachfolge-Teams.

 

Stefan Lütolf hat Geschichte studiert. Neulich hat er mir ein Buch empfohlen. „Licht aus dem Osten, Eine neue Geschichte der Welt“ von Peter Frankopan. In jeder freien Minute, greife ich nach diesem Buch. Unglaublich, wie Frankopan mir die historischen und religionsgeschichtlichen Entwicklungen von China bis Amerika über Jahrhunderte zugänglich macht. Natürlich muss er mir auch viel Grausames erzählen. Ich möchte in keinem anderen Jahrhundert am falschen Ort gelebt haben. Denn schreckliche Ausbeutung, Menschenverachtung und Versklavung war immer die Kehrseite von Wohlstand und Luxus. Globalisierung in ungeahntem Ausmass hat entlang der Seidenstrasse zwischen China, dem Nahen Osten und Europa stattgefunden, wenn auch dieses Wort noch nicht kreiert war. Atemberaubend wie Frankopan Aufstieg und Niedergang von Völkern und Städten auf die hauptsächlichen Gründe zurückführt. Die religiösen Rechtfertigungen für Gräueltaten sind von Seiten der Päpste und Könige oft haarsträubend ausgefallen, ebenso die zweckgerichteten Aussagen über Gottes Willen. Wieviel Elend wurde im Namen Gottes über Völker und Nationen verstreut, wieviel religiöse Gefühle für die eigene Macht missbraucht. Und sie dreht sich doch…

 

Advent. Die Ursehnsucht nach Frieden und Erlösung wird wieder angesprochen wie in der Kantate von Peter Roth: „Soldatenstiefel mitsamt em Bluet dra, brennen denn im Füür…“  

 

 

Fête des lumières, LYON FR
Fête des lumières, LYON FR

2016 Dezember 

 

Fête des lumières ist das Fest der Lichter in Lyon (FR). Die BürgerInnen der Stadt an Rhône und Saône danken der Heiligen Maria, dass sie damals die Pest von ihren Vorfahren nahm. Über der Stadt leuchten die Worte: Merci Marie.

 

Seit dem 17. Jahrhundert stellen die Lyonnaiser am 8. Dezember  Kerzen auf ihre Fenstersimse. Und das noch heute! Jahr für Jahr besteht die Möglichkeit, ein „Lumignon du Coeur” zu kaufen, ein « Lämpchen des Herzens ». Der Erlös geht an eine Hilfsorganisation. 

 

Im Laufe der letzten Jahrzehnte wandelte sich das ursprüngliche kleine Winterfest zum großflächigen Spektakel der Lichtprojektionen und -kunstwerke. Erwartet werden 2016 vier Millionen Zuschauer an drei Abenden.

 

Da juckt es die Terroristen wahrscheinlich in allen Fingern. Ein grosses Polizeiaufgebot sperrt Strassen ab. Rücksäcke werden durchsucht. Dank meines hervorragenden Bauches und der Kapuze über dem Kopf muss ich die Jacke öffnen. Freiwillige Helfer stehen für Auskünfte bereit. In der Innenstadt verkehren keine Autos. Metrostationen bleiben zur besseren Führung der Fussgängerströme geschlossen. Kein Gedränge, kein Gegröle, keine Besoffenen, Ruhe während der Spektakel. So hervorragend organisiert!

 

Fête des lumières. Merci Marie!   ¨Sooou schööön!